Prof. Dr. Michael Stürner
Rn 18
Nach III 2 erlischt das Widerrufsrecht bei Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden und sich nicht auf Finanzdienstleistungen beziehen, nach zwölf Monaten und 14 Tagen. Dies gilt auch dann, wenn der Unternehmer den Verbraucher nicht ordnungsgem nach III belehrt hat (vgl BTDrs 17/12637, 62). Im Vergleich zur bisherigen Rechtslage stellt dies eine Erleichterung für den Unternehmer dar. Nach § 355 IV 3 Hs 1 aF erlosch das Widerrufsrecht für den Verbraucher nicht, wenn er durch den Unternehmer nicht ordnungsgem belehrt wurde.
Rn 19
Für Verträge über Finanzdienstleistungen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden, gilt diese Erleichterung nicht (vgl III 3). Kommt der Unternehmer insoweit seinen Belehrungspflichten aus § 312d II nicht nach, erlischt das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht. In diesem Fall hat er ein sog ›ewiges Widerrufsrecht‹. Insoweit bleibt es damit bei der früheren, sich aus § 355 IV 3 Hs 2 aF ergebenden Rechtslage (vgl dazu auch BTDrs 17/12637, 62). Zur Einrede der Verwirkung s Rn 22. Ändern wird sich diese Rechtslage jedenfalls tw mit der Neufassung der FernabsFinDienstlRL II (durch RL [EU] 2023/2673; Umsetzungsrecht anzuwenden ab 19.6.26).
Rn 20
Seit Inkrafttreten des WoImmoKrRL-UG (Vor §§ 355 ff Rn 5) ist dies allerdings nur noch für die Erbringung solcher Finanzdienstleistungen iSd § 312 V 1 der Fall, die nicht als Immobiliar-Verbraucherdarlehensvertrag zu qualifizieren sind (§ 356b Rn 2 ff). Zur Entwicklung Gsell in FS Müller-Graff 15, 183; Omlor NJW 16, 1265; Kreße WM 17, 1485.
Rn 21
Die im Vergleich zu III 2 unterschiedliche Rechtslage bei Verträgen über Finanzdienstleistungen nach III 3 ergibt sich daraus, dass die VRRL, auf die III 2 zurückgeht, für Finanzdienstleistungen nicht gilt. Aufgrund von Art 6 I FernabsFinDienstlRL (RL 2002/65/EG) war eine Ausweitung der Regelung des III 2 jedoch auf Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen nicht möglich. Zwar gilt die FernabsFinDienstlRL nicht für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge über Finanzdienstleistungen – der Gesetzgeber ist insoweit nicht durch Richtlinien gebunden – so dass für diese Verträge ein ›ewiges Widerrufsrecht‹ nicht erforderlich gewesen wäre. Unterschiedliche Regelungen für Verträge über Finanzdienstleistungen je nach Vertriebsform sind jedoch aus dem bereits unter Rn 11 genannten Grund abzulehnen.
Rn 22
Eine Erleichterung für den Unternehmer, wenn auch nur in geringem Umfang, bringt jedoch IV Nr 4 (Rn 25). Weiter ist in Extremsituationen an eine Unwirksamkeit des Widerrufs des Verbrauchers nach § 242 zu denken (allg Mankowski JZ 16, 787; Rieländer AcP 216, 763; Sesing JR 17, 549), etwa wenn die fehlende Information für den Abschlusswillen offenbar keine Rolle gespielt hat, der Widerruf des Verbrauchers wegen überlegenen Sonderwissens rechtsmissbräuchlich wäre (Stuttg VersR 15, 878 Rz 38 ff; Dawirs NJW 16, 439), wenn sich der Widerrufende allein auf eine lediglich formale Rechtstellung beruft (Brandbg 2.12.20 – 4 U 93/20; 16.6.21 – 4 U 192/20; Frankf 19.5.21 – 17 U 101/20 Rz 116; Hamm NJW-RR 22, 131 [OLG Hamm 23.08.2021 - 18 U 200/20] verlangt sachliche Gründe und nicht nur eine bloße Bereicherungsabsicht für den Widerruf; ähnlich auch Stuttg 22.12.20 – 6 U 276/19) oder einem Selbstwiderspruch gleichkäme (Frankfurt 7.8.15 – 19 U 5/15, juris Rz 52 ff; s.a. Stuttg 6.12.16 – 6 U 95/16, juris Rz 22 ff: vorbehaltlose Weiterzahlung). Auch ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Abschluss des Versicherungsvertrages und Einsatz zur Kreditsicherung kann im Einzelfall ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand begründen (BGH NJW 23, 3086). Rechtsmissbrauch kann vorliegen, wenn in Kenntnis des erklärten Widerrufs Rechte aus einem vertraglichen Rückgaberecht hergeleitet werden (Braunschw WM 22, 2024). Schließt der Verbraucher nach dem Widerruf des Darlehensvertrags einen neuen, weiteren Darlehensvertrag, kann das rechtsmissbräuchlich sein (Braunschw 6.1.23, 4 U 46/22 – juris Rz 37 ff; Kobl ZIP 22. 2329 Rz 49).
Rn 22a
Nicht ausreichend ist allemal, wenn der vom Gesetzgeber mit der Einräumung des Widerrufsrechts intendierte Schutzzweck für die Ausübung des Widerrufsrechts nicht leitend war (BGHZ 211, 105 Rz 23; s.a. § 355 Rn 2); das ist darin begründet, dass der Widerruf gerade keiner Begründung bedarf (Hamm 10.5.21, 31 U 8/21). Ebenfalls allein nicht ausreichend ist es, wenn ein finanziertes Fahrzeug nach Widerrufserklärung weiter genutzt wird (Celle ZIP 22, 1260; Saarbr 4.8.23, 4 U 92/21 – juris; aA wohl Ddorf 4.11.21 – I 16 U 291/20 – juris (anhängig BGH – XI ZR 527/21); Naumbg 6.10.21 – 5 U 66/21 – juris). Ob allein der Weiterverkauf nach Widerruf und Zahlung der letzten Rate schon rechtsmissbräuchlich sein soll, ist umstritten (dagegen Saarbr 14.7.23, 4 U 113/21 – juris Rz 61 ff; Frankf 22.3.23, 17 U 159/21 Rz 76 ff; dafür Hamm 10.5.21, 31 U 34/21 – juris Rz 69 ff). Fraglich ist auch die Vereinbarkeit des Rechtsmissbrauchsvorwurfs ...