Prof. Dr. Michael Stürner
I. Widerrufserklärung, I.
Rn 5
Der Verbraucher hat den Widerruf des Vertrags ggü dem Unternehmer zu erklären. Der Unternehmer kann dem Verbraucher die Möglichkeit einräumen, zur Erklärung des Widerrufs das Muster-Widerrufsformular nach Anl 2 zu Art 246a § 1 II 1 Nr 1 EGBGB oder eine andere eindeutige Widerrufserklärung auf der Webseite des Unternehmers auszufüllen und ihm zu übermitteln. Macht der Verbraucher hiervon Gebrauch, muss der Unternehmer dem Verbraucher den Zugang der Widerrufserklärung unverzüglich auf einem dauerhaften Datenträger bestätigen (I 2).
Rn 6
Ein Vorgehen nach I bringt sowohl für die Unternehmer- als auch die Verbraucherseite Vorteile mit sich. Der Unternehmer kann dadurch die Rückabwicklung automatisiert vornehmen und unmittelbar dem Kundenkonto zuordnen; der Verbraucher, der die Beweislast für die rechtzeitige Erklärung des Widerrufs trägt, erhält sogleich eine Bestätigung des Eingangs seiner Widerrufserklärung (BTDrs 17/12637, 60). Zur Vereinbarkeit der Muster-Widerrufserklärung mit den Vorgaben der VRRL Klocke VuR 15, 293; allg dazu Schürnbrand JZ 15, 974.
II. Widerrufsfrist, II, III 1.
Rn 7
Aus § 355 II 1 ergibt sich, dass die Widerrufsfrist 14 Tage beträgt. Nach § 355 II 2 läuft diese Frist grds ab Vertragsschluss. § 356 III 1 enthält eine hiervon abweichende spezielle Regelung für Verträge, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden, dazu Janal VuR 15, 43. III 1 verdrängt damit § 355 II 1. Darüber hinaus sind für den Verbrauchsgüterkauf iSd § 474 I sowie für Verträge, die sich auf die Lieferung von Wasser, Gas, Strom oder Fernwärme beziehen (dazu Wagner RdE 18, 170) oder digitale Inhalte (dazu Rosenkranz GPR 18, 28) haben, die Regelungen zum Fristbeginn des II zu beachten.
1. Allgemeiner Fristbeginn, III 1.
Rn 8
Die Widerrufsfrist beginnt erst dann zu laufen, wenn der Unternehmer den Verbraucher gem Art 246a § 1 II 1 Nr 1 EGBGB oder, wenn diese Verträge Finanzdienstleistungen zum Gegenstand haben, gem Art 246b § 2 I vor Vertragsschluss informiert hat (für Heilungsmöglichkeit bei Informationserteilung nach Vertragsschluss Wendehorst NJW 14, 577, 582). Fehler bei der Belehrung hindern den Fristlauf. Es kommt nicht darauf an, ob sie sich in irgendeiner Weise kausal ausgewirkt haben (BGHZ 121, 52, 57; BGH VersR 15, 1101 Rz 27; NJW-RR 17, 815 Rz 33; aA Regenfus JZ 16, 1140, 1143 ff). In Extremfällen kann § 242 helfen (Rn 22). Da § 312d I 1 den Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher nach Maßgabe des Art 246a EGBGB zu informieren (§ 312d Rn 6), sind auch die in Art 246a § 4 EGBGB geregelten formalen Anforderungen zu beachten und für den Fristlauf konstitutiv: Der Lauf der Widerrufsfrist wird daher erst in Gang gesetzt, wenn der Unternehmer dem Verbraucher die Information über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts auf Papier oder, wenn der Verbraucher zustimmt, auf einem anderen dauerhaften Datenträger zur Verfügung gestellt hat (BGH NJW-RR 21, 177 [BGH 26.11.2020 - I ZR 169/19] Rz 41).
Rn 9
Art 246b § 2 I verlangt vom Unternehmer, dass er dem Verbraucher die Vertragsbestimmungen (einschl der allg Geschäftsbedingungen) sowie die Informationen des Art 246b § 1 I EGBGB auf einem dauerhaften Datenträger zur Verfügung stellt, um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen. Mit Blick auf den Umfang des Art 246b § 1 I EGBGB (die Regelung besteht aus 19 Ziffern!) sind diese Anforderungen des Unternehmers an die Widerrufsbelehrung vielfältig.
Rn 10
Weniger vielfältig sind die Anforderungen, die Art 246a § 1 II 1 Nr 1 EGBGB an den Unternehmer stellt. Danach ist der Verbraucher über die Bedingungen, die Fristen und das Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts gem § 355 I sowie das Muster-Widerrufsformular zu informieren. Von der Erfüllung weiterer Informationspflichten ist der Beginn der Widerrufsfrist nicht abhängig (vgl BTDrs 17/12637, 61). Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zur früheren Rechtslage. Um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen, wird dem Unternehmer damit bei Verträgen, die im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden und keine Finanzdienstleistungen zum Gegenstand haben, sehr viel weniger abverlangt als bei Verträgen über Finanzdienstleistungen, die in einer dieser Vertriebsformen geschlossen werden. III 1 bringt damit für den Unternehmer in diesem Bereich eine deutliche Erleichterung mit sich.
Rn 11
Diese Erleichterung auf Verträge über Finanzdienstleistungen zu übertragen, war dem Gesetzgeber aufgrund der Bindungen des Art 5 I der FernabsFinDienstlRL (RL 2002/65/EG) nicht möglich. Zwar gilt diese nur für Fernabsatzverträge über Finanzdienstleistungen und nicht für Verträge über Finanzdienstleistungen, die außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen wurden (insoweit ist der Gesetzgeber nicht durch Richtlinien gebunden). Ob unterschiedliche Bestimmungen für Verträge über Finanzdienstleistungen (abhängig von der jeweils gewählten Vertriebsform) eine Erleichterung für den Unternehmer dargestellt hätten, ist mit Blick auf den damit verbundenen Mehraufwand für den Unternehmer ...