Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
I. Zweck.
Rn 1
Die Vorschrift regelt den Fall, dass derselbe Gläubiger verschiedene Forderungen, die auf eine gleichartige Leistung gerichtet sind, gegen denselben Schuldner hat. Sie ordnet an, welche dieser Forderungen durch eine Leistung getilgt wird oder getilgt werden, wenn die Leistung nicht zur Erfüllung sämtlicher Forderungen ausreicht. Vorrang hat dabei nach I die Bestimmung durch den Schuldner. Trifft dieser keine Bestimmung, so greift die gesetzliche Regelung in II ein. Vor diesem Hintergrund stellt sich I als Vergünstigung für den Schuldner dar, deren Grund seine freiwillige Leistung bildet (BGH ZIP 14, 2248 Rz 11). Zugleich zieht § 366 I die praktische Konsequenz daraus, ›dass das Zahlungsgeschäft vom Schuldner ausgeht‹ (vgl RGZ 66, 54, 59; zum Ganzen BGH NJW 08, 2842 [BGH 03.06.2008 - XI ZR 353/07]).
II. Allgemeine Voraussetzungen.
1. Parteiidentität.
Rn 2
Die Vorschrift setzt voraus, dass es sich um Forderungen desselben Gläubigers gegen denselben Schuldner, also einer identischen natürlichen oder juristischen Person oder Personenmehrheit gegen eine andere natürliche oder juristische Person oder Personenmehrheit handelt. Der Erwerbsgrund ist gleichgültig. Die Vorschrift gilt auch, soweit die Gläubiger- oder Schuldnerstellung auf Abtretung oder Schuldbeitritt beruht.
Rn 3
Sind Dritte, insb Sicherungsgeber, von der Tilgungsverrechnung berührt, müssen sie das Ergebnis der Anwendung des § 366 im Gläubiger-Schuldner-Verhältnis hinnehmen (BGH NJW 93, 2043 [BGH 27.04.1993 - XI ZR 120/92]).
Rn 4
Bei der stillen Teilabtretung, wie sie auch beim verlängerten Eigentumsvorbehalt vorliegt, wird die ursprünglich einheitliche Forderung aufgespalten, ohne dass dies für den Schuldner erkennbar ist. Er kann mit befreiender Wirkung an den Zedenten leisten (§ 407). Für die Verrechnung auf die Teilforderungen gilt § 366 (BGHZ 47, 168; NJW 91, 2629; NJW 08, 985). Da der Schuldner in diesem Fall im Moment der Leistung von der Aufspaltung keine Kenntnis hat, kann er unverzüglich nach Kenntnis hiervon nachträglich eine Tilgungsbestimmung treffen (BGHZ 167, 337; NJW 08, 985).
2. Mehrere Schuldverhältnisse.
Rn 5
Der Begriff des Schuldverhältnisses in § 366 entspricht demjenigen der §§ 362, 241. Gemeint ist die einzelne, konkrete Forderung, nicht das Schuldverhältnis iwS als Gesamtheit (›Bündel‹) von Rechten und Pflichten. Die Vorschrift gilt damit auch für die Frage, welchem von mehreren beim Gläubiger geführten Konten eine Zahlung gutgeschrieben wird (BGH ZIP 82, 424). Bei der Kfz-Versicherung handelt es sich um verschiedene Einzelversicherungen mit dementspr verschiedenen Forderungen – Haftpflicht und Kasko (BGH NJW 78, 1524 [BGH 27.02.1978 - II ZR 3/76]).
Rn 6
Die Vorschrift gilt im Falle mehrerer unterschiedlicher Hauptforderungen. Für das Verhältnis der Hauptforderungen zu den Nebenforderungen auf Zinsen und Kosten ist § 367 maßgebend.
Rn 7
Wie bei § 362 erfasst der Anwendungsbereich auch Forderungen außerhalb des Schuldrechts. Die Vorschrift gilt etwa für die Frage, ob bei einer Sicherungsgrundschuld auf die Forderung oder auf die Grundschuld gezahlt wird (BGH NJW 97, 2046 [BGH 08.04.1997 - XI ZR 196/96]; Saarbr OLGR 05, 139) oder wenn eine Grundschuld mehrere Forderungen gegen verschiedene Schuldner sichert (BGH NJW-RR 89, 1036 [BGH 16.06.1989 - V ZR 85/88]; NJW-RR 95, 1257 [BGH 27.06.1995 - XI ZR 213/94]; NJW 99, 2043 [BGH 09.03.1999 - XI ZR 155/98]). Sie ist ebenso auf öffentlich-rechtliche Forderungen entspr anwendbar (BayVGH 11.5.07, 21 ZB 06.1399), etwa auf die Zahlung von Sozialversicherungsforderungen. Das gilt auch dann, wenn die Zahlung durch einen Insolvenzverwalter erfolgt (BGH NJW 85, 3064 [BGH 12.02.1985 - VI ZR 68/83]). Im Steuerrecht gilt § 225 AO.
Rn 8
Ob eine Mehrheit von Forderungen vorliegt, ist nicht dogmatisch-konstruktiv, sondern nach der Interessenlage zu beurteilen. Deshalb kann die Vorschrift zumindest entspr auf in sich gegliederte Forderungen angewandt werden, wenn rechtlich eine einheitliche Schuld vorliegt und es um die Anrechnung auf unterschiedliche Teile derselben geht. Das ist bspw der Fall, wenn ein Teil einer ursprünglich einheitlichen Forderung durch Teilklage rechtliche Selbstständigkeit erlangt hat (BGH NJW-RR 91, 169), wenn für einen Teil die Mithaftung weiterer Gesamtschuldner besteht (Kobl NJW 08, 3006) oder im Verhältnis der einzelnen Mietzinsraten aus demselben Mietvertrag (BGH NJW 65, 1373; NJW 04, 2230, 2232) oder bei monatlichen Unterhaltszahlungen (Saarbr FamRZ 10, 684). Auch im Verhältnis des gesicherten zum ungesicherten Teil einer Forderung gilt § 366. Wird bei einem Grundstücksverkauf eine Schwarzgeldabrede getroffen, so findet § 366 auf das Verhältnis des beurkundeten (und hypothekarisch gesicherten) zum nicht beurkundeten Kaufpreisanteil Anwendung (BGH NJW 73, 1689 [BGH 13.07.1973 - V ZR 186/71]). Ist der Schuldner eine GbR, deren Gesellschafter kraft Vereinbarung nicht als Gesamtschuldner, sondern nur anteilig haften, so ist § 366 II nicht auf die Frage anwendbar, welche Gesellschafter von ihrer Haftung durch Zahlung der GbR frei werden (BGH NJW 11, 2030; aA no...