Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
Rn 12
Als Erfüllungssurrogat wirkt die Hinterlegung nur, wenn sie als solche berechtigt erfolgt und eine Hinterlegungsbefugnis des Schuldners bestand. Hierzu müssen die in § 372 bestimmten Voraussetzungen objektiv vorliegen. Eine etwaige unrichtige Vorstellung des Schuldners, er sei aus irgendwelchen Gründen, die nicht den gesetzlichen Voraussetzungen in § 372 entspr, zur Hinterlegung berechtigt, kann den objektiven Mangel der gesetzlichen Voraussetzungen der Hinterlegungsbefugnis nicht ersetzen, gleichgültig, ob der Schuldner sich seine Meinung schuldlos oder schuldhaft gebildet hat (BGH NJW 53, 19 [BGH 17.10.1952 - I ZR 45/52]; WM 85, 912). Maßgebend ist der Zeitpunkt der Hinterlegung (BayVerfGH 28.11.12, Vf. 41-VI-12). Auch eine formal wirksame Annahmeverfügung der Hinterlegungsstelle (zB § 7 Nr 1 HintG BW) ist kein Ersatz für die mangelnde Rechtmäßigkeit der Hinterlegung (BGH NJW-RR 89, 200). Eine Hinterlegungspflicht besteht in Fällen der Unsicherheit dagegen nicht (Oldbg VersR 13, 845).
I. Annahmeverzug.
Rn 13
Es muss Annahmeverzug iSd §§ 293 ff vorliegen (BGH NJW 90, 761 [BGH 09.11.1989 - IX ZR 269/87]).
II. Prätendentenstreit.
Rn 14
Zur Hinterlegung berechtigt eine nicht vorwerfbare (dh unverschuldete) Ungewissheit des Schuldners über die Person des Gläubigers, zB bei unbekannten Erben oder wenn mehrere Forderungsprätendenten die Leistung beanspruchen. Diese müssen aber dieselbe Forderung beanspruchen. Dies kann beim Factoring auch der Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteueranteils sein, wenn dieser nicht nur vom Gläubiger, sondern auch direkt vom Finanzamt beansprucht wird (BGHZ 170, 311). Verlangen mehrere Gläubiger aus verschiedenen Rechtsgründen vom Schuldner dieselbe Leistung, ist der Schuldner selbst dann nicht zur Hinterlegung berechtigt, wenn er schuldlos darüber im Unklaren ist, welcher der beiden Ansprüche begründet ist (BGH ZIP 81, 65; NJW 03, 1809; NJW 17, 2755; BayObLG 28.10.20 – 1 VA 81/20). Ein Zweifel über die Grundforderung reicht nicht aus, um auch Zweifel hinsichtlich einer Scheckforderung zu begründen, selbst wenn der Schuldner einen Scheck erfüllungshalber begeben hat (BGH ZIP 85, 208).
Rn 15
Als Prätendentenstreit kommt häufig in Betracht, dass die Prätendenten über das maßgebende Rangverhältnis zwischen einer Pfändung und einer Abtretung streiten (BGH NJW-RR 05, 712 [BGH 10.12.2004 - V ZR 340/03]; vgl auch RGZ 144, 391, 393). Ein solcher Streit alleine reicht allerdings nicht aus (BGH BB 60, 459; NJW 97, 1501). Es müssen vielmehr beim Schuldner objektiv verständige Zweifel über die Person des berechtigten Gläubigers vorliegen (BGHZ 7, 302). Diese Zweifel können rechtlicher oder tatsächlicher Art sein. Rechtliche Zweifel können auf einer schwer zu ermittelnden Rechtslage oder auf Auslegungszweifeln bei einem Rechtsgeschäft beruhen. Bei einer unklaren Abtretung schließt die Geltung einer Schutzvorschrift zugunsten eines redlichen Schuldners, etwa § 409, die Befugnis zur Hinterlegung nicht aus; diese begründet nur eine Erfüllungswirkung zugunsten des Schuldners, nicht aber die Pflicht, an eine Person mit unklarer Berechtigung zu leisten (BGHZ 145, 352; NJW 97, 1501; NJW-RR 04, 656). Die Zweifel müssen das Außenverhältnis der Prätendenten zum Schuldner betreffen; Zweifel in ihrem Innenverhältnis genügen nicht (Nürnbg NJW-RR 16, 737 [OLG Nürnberg 21.12.2015 - 8 U 1255/15]). Ist die Gläubigerstellung gerichtlich geklärt, scheidet eine Unsicherheit idR aus (BGH WuM 17, 542 [BGH 04.07.2017 - VIII ZR 127/17]).
Rn 16
Für die Beurteilung, an wen zur Herbeiführung der Erfüllungswirkung zu zahlen ist, kommt es nach Art 12 I lit d der Verordnung EG 593/08 (ROM I) grds auf die Beurteilung durch das auf das Schuldverhältnis anwendbare Recht an (vgl BGHZ 7, 302). Allerdings ist es als sachliche Unsicherheit anzusehen, wenn der Schuldner die Inanspruchnahme vor einem Forum befürchten muss, dessen IPR das Schuldverhältnis abw anknüpft mit der Folge, dass ein anderer Gläubiger berechtigt ist.
Rn 17
Die Zweifel dürfen nicht auf Fahrlässigkeit beruhen. Der Schuldner ist zur Vermeidung eines Schuldvorwurfs gehalten, sich bei einer schwierigen oder unübersichtlichen Sach- oder Rechtslage zu erkundigen. Er hat die Sach- und Rechtslage mit verkehrsüblicher Sorgfalt zu überprüfen. Bleiben danach begründete Zweifel, werden die Obliegenheiten des Schuldners durch Zumutbarkeitsgesichtspunkte begrenzt. Der Schuldner ist zur Hinterlegung berechtigt, wenn ihm nach verständigem Ermessen nicht zugemutet werden kann, den Zweifel auf seine Gefahr hin auszuräumen (BGHZ 7, 302; NJW-RR 05, 712). Was vom Schuldner zu erwarten ist, hängt von den Umständen ab. Zu berücksichtigen sind zunächst die Kenntnisse und Möglichkeiten des Schuldners. Handelt es sich um ein Unternehmen mit einer eigenen Rechtsabteilung, so ist er in jedem Fall verpflichtet, diese einzuschalten (BGH NJW 03, 1809). Dementspr ist anzuerkennen, dass sich der Schuldner auf eingeholten Rechtsrat (wenn dieser die Rechtslage als unklar bezeichnet) prinzipiell verlassen darf. Ferner kommt es noch auf die...