Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
I. Sinn und Zweck.
Rn 1
§ 383 will dem Schuldner eine erweiterte Möglichkeit der Hinterlegung verschaffen, obwohl die als Leistung geschuldete Sache nach § 372 zur Hinterlegung nicht geeignet ist. Zu diesem Zweck werden dem Schuldner der Selbsthilfeverkauf im Wege der öffentlichen Versteigerung und die Hinterlegung des Gelderlöses gestattet. Da hierin eine erhebliche Beeinträchtigung des Gläubigers liegt, muss diese Regelung auf Fälle mangelnder Schutzbedürftigkeit des Gläubigers oder eines überwiegenden Veräußerungsinteresses des Schuldners beschränkt bleiben.
II. Voraussetzungen.
Rn 2
Die Versteigerungsbefugnis besteht nur für bewegliche Sachen, nicht aber für eingetragene Schiffe und Schiffsbauwerke. Sie gilt nach § 383 I 1 im Falle des Annahmeverzugs des Gläubigers (§ 372 1, §§ 293 ff) und nach § 383 I 2 bei Unsicherheit über die Person des Gläubigers (§ 372 2) sowie dann, wenn der Verderb der Sache zu besorgen ist oder die Aufbewahrung mit unverhältnismäßigen Kosten für den Schuldner verbunden ist. Beim Handelskauf gilt im Falle des Annahmeverzugs des Gläubigers die erweiterte Selbsthilfeverkaufsmöglichkeit nach § 373 HGB.
Rn 3
Die Versteigerung hat am Leistungsort (vgl § 374 Rn 1 ff) zu erfolgen, es sei denn, dort ist ein angemessener Erfolg nicht zu erwarten. Angemessenheit des Erfolgs ist unter Zugrundelegung eines Vergleichs mit dem möglichen Erlös an anderen Orten zu bestimmen. Mithin kommt es auf die örtlichen Marktverhältnisse an.
Eine mangelnde Erlöserwartung kann insb bei Gegenständen bestehen, die am Leistungsort vielfach hergestellt oder gewonnen werden, für die aber dort keine nennenswerte Nachfrage besteht. Welcher andere Ort geeignet ist (§ 383 II), bestimmt sich nach der dort bestehenden Erlöserwartung. Kommen mehrere andere Orte in Betracht, so kann der Schuldner hieraus ›einen geeigneten anderen‹ Ort wählen. Die Kosten des Transports sind bei der Geeignetheitsbeurteilung zu berücksichtigen.
III. Rechtsfolgen.
Rn 4
Der Selbsthilfeverkauf ist rechtmäßig, wenn er den Voraussetzungen des § 383 entspricht. Werden diese verletzt, so bleibt der Selbsthilfeverkauf im Falle der Verletzung bloßer Ordnungsvorschriften, etwa einer Versteigerung an einem anderen als dem Leistungsort, rechtmäßig. Der Schuldner ist aber schadensersatzpflichtig (RGZ 96, 116; 110, 268) und trägt die Beweislast, dass am richtigen Ort kein höherer Erlös hätte erzielt werden können (RGZ 110, 268, 270). Nur bei Verletzung wesentlicher Vorschriften ist der Selbsthilfeverkauf rechtswidrig und führt nicht zum Freiwerden nach § 378, sondern allenfalls nach § 275 I.
Rn 5
Die Hinterlegung des Erlöses unter Rücknahmeverzicht (§§ 376 II Nr 1, 378) führt bei rechtmäßigem Selbsthilfeverkauf zum Erlöschen der Verbindlichkeit (Frankf NJW-RR 88, 443; AG Hamburg NJW 90, 125 [AG Hamburg 22.09.1988 - 206 C 1226/88]). Schon die rechtmäßige Ausführung der Versteigerung soll dazu führen, dass sich der Anspruch des Gläubigers an der Sache am Erlös fortsetzt (Grüneberg/Grüneberg Rz 6). Hierfür fehlt in § 383 aber eine ausdrückliche Grundlage. Die Wohltat des Freiwerdens von der Leistungspflicht setzt deshalb die Ausführung der Erlöshinterlegung voraus. Ein vorhergehendes Freiwerden ist nicht berechtigt, weil der Schuldner die Hinterlegung selbst jederzeit vornehmen kann. Nach § 242 ist der Schuldner aber befugt, den Erlös ohne Hinterlegung, jedoch mit Erfüllungswirkung gegen den Gläubiger zur Tilgung (im Wege der Aufrechnung oder Zahlung) seiner eigenen Gegenforderung gegen den Gläubiger zu verwenden, wenn dieser mit der Erfüllung der Gegenleistungspflicht in Verzug ist (RGZ 64, 366, 374).
Rn 6
Die rechtswidrige Ausführung des Selbsthilfeverkaufs kann zum Unvermögen des Schuldners zur Leistung (§ 275 I Fall 1) führen (Köln NJW-RR 95, 52). Auch bei der Ausführung der Versteigerung gilt die beim Gläubigerverzug nach § 300 I geltende Begrenzung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit (RGZ 57, 105, 107; Köln NJW-RR 95, 52 [OLG Köln 06.06.1994 - 19 U 150/93]), allerdings nur, soweit es um die Haftung für den Verlust des Liefergegenstandes geht, nicht für die Verletzung von Nebenpflichten (§ 300 Rn 3). Ein Anspruch des Gläubigers auf Schadensersatz statt der Leistung aus §§ 280 I u III, 283, 275 IV besteht nur im Falle eines groben Verschuldens bei der Ausführung der Versteigerung.