Prof. Dr. Thomas Pfeiffer
1. Allgemeines.
Rn 12
Der Erlass enthält den Verzicht des Gläubigers auf eine Forderung. Umgekehrt setzt der Verzicht einen Erlassvertrag voraus. Ein solcher Verzicht setzt den Willen voraus, auf eine bestehende Forderung zu verzichten. Dieser Wille kann auch im Prozess erklärt werden (BGH NJW 79, 720). Er ist im Allgemeinen nicht zu vermuten (BGH NJW 02, 1788 [BGH 07.03.2002 - IX ZR 293/00]). Wenn feststeht oder davon auszugehen ist, dass eine Forderung entstanden ist, verbietet dieser Umstand im Allgemeinen die Annahme, der Gläubiger habe sein Recht einfach wieder aufgegeben. Es bedarf daher einer, auch im Lichte der Umstände, unzweideutigen Bekundung des Verzichtswillens durch den Gläubiger; er muss deshalb mit hinreichender Deutlichkeit erklärt werden (BGH NJW 97, 3019 [BGH 15.07.1997 - VI ZR 142/95]; NJW 01, 2325 [BGH 10.05.2001 - VII ZR 356/00]; Rostock OLGR 08, 933). Ein stillschweigender Verzicht ist möglich (zB München NJW-RR 90, 20). Er wird aber nur ausnahmsweise (›unter strengen Voraussetzungen‹) zu bejahen sein. All dies gilt ganz generell für jeden Verzicht auf Rechte oder eine sonst vorteilhafte Rechtsposition. In der Bestätigung eines anfechtbaren Rechtsgeschäfts liegt idR zugleich ein Verzicht auf Schadensersatz wegen des Zustandekommens des Vertrags (BGH MDR 16, 315). Bei der Gefälligkeitsfahrt kann hingegen nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass der verletzte Mitfahrer von vornherein auf seine Haftungsansprüche verzichtet (BGH VersR 66, 693 [BGH 15.04.1966 - VI ZR 246/64]). Insb kann nicht unterstellt werden, dass der Gläubiger auf Forderungen verzichtet, die ihm unbekannt sind oder mit deren Bestehen er nicht einmal rechnet. Hier gelten nochmals gesteigerte Deutlichkeitsanforderungen (BGH NJW 84, 1346; NJW 94, 379). Bei Einbeziehung unbekannter Forderungen begründet die Fehlvorstellung über deren Bestehen keinen rechtlich erheblichen Willensmangel (Köln MDR 00, 140 [OLG Köln 25.08.1999 - 13 U 28/99]). Sogar im Falle einer eindeutig erscheinenden Erklärung des Gläubigers darf ein Verzicht indes nach alledem nicht bejaht werden, ohne dass bei der Feststellung des Verzichtswillens sämtliche auslegungsrelevanten Begleitumstände berücksichtigt worden sind (BGH WM 94, 267 [BGH 24.11.1993 - BLw 57/93]; NJW 02, 1044; NJW 06, 1511). Das gilt auch für einen bereits eingetretenen Verzug und etwaige Verzugsfolgen (BGH FamRZ 88, 478). Der Erlass muss mit dem Gläubiger vereinbart werden; ist der Anspruch auf einen Dritten übergegangen, kann der usprüngliche Gläubiger nicht mehr verzichten (LG Hamburg ZInsO 22, 2432).
Rn 13
Bei der verdeckten Teilklage kann ein materiell-rechtlicher Verzicht auf Mehrforderung vorliegen. Das ist aber nicht ohne Weiteres zu bejahen. Deshalb bedarf es im Regelfall keines ausdrücklichen Vorbehalts der Mehrforderung, um einen Erlass auszuschließen (BGH NJW 97, 3019 [BGH 15.07.1997 - VI ZR 142/95]). Ausnahmsweise kann es ausreichen, wenn der Gläubiger erklärt, er begnüge sich mit einer bestimmten Forderungshöhe (BGH NJW 79, 720) oder sich dies aus dem Zusammenspiel mit gesetzlichen Gebührenregelungen ergibt (BGH NJW 13, 3102 [BGH 04.07.2013 - IX ZR 306/12]). Eine Schlussrechnung enthält idR ebenfalls keinen Verzicht auf weitergehende Forderungen; eine Nachforderung kann bei berechtigtem Vertrauen des Schuldners aber treuwidrig sein (BGHZ 120, 133).
Rn 14
Bei der Bürgschaft kann der Gläubiger dem Bürgen zwar dessen Schuld erlassen, aber gleichwohl Inhaber der Hauptforderung bleiben. Für den Forderungsübergang nach § 774 reicht es nicht aus, dass nach dem Willen von Gläubiger und Bürgen nur die Bürgschafts- und nicht auch die Hauptschuld erlassen wird, um die Forderung auf den Bürgen übergehen zu lassen. Vielmehr muss der Wille zum Übergang der Hauptforderung auf den Bürgen hinreichend deutlich werden (BGH NJW 90, 1301 [BGH 06.11.1989 - II ZR 62/89]). Bei der Bürgschaft ergibt sich aus der Rücksendung der Bürgschaftsurkunde dann ein Verzicht, wenn der Rücksendung nach den Umständen ein entspr Erklärungsgehalt zukommt (Dresd BB 99, 497).
2. Erlassfalle.
Rn 15
Als Erlassfalle bezeichnet man die Übersendung eines geringwertigen Schecks, verbunden mit der Erklärung, dass der Scheck vergleichsweise zur Erledigung eines noch offenen, weit über die Schecksumme hinausgehenden Betrags übersandt werde und dass man auf eine Annahmeerklärung hinsichtlich dieses Angebots zum Abschluss eines Erlassvertrags verzichte. Allerdings wird bei verständiger Würdigung eine Scheckeinlösung durch den Gläubiger allenfalls ausnahmsweise als Ausdruck eines Willens zum Verzicht auf die noch offene Forderung zu verstehen sein (BGH NJW 01, 2324 [BGH 10.05.2001 - XII ZR 60/99]).