Prof. Dr. Hans-Friedrich Müller
I. Begriff.
Rn 2
Der Begriff der Einwendung iSv § 404 ist weit zu verstehen. Er umfasst alle rechtshindernden u rechtsvernichtenden Einwendungen sowie peremptorische u dilatorische Einreden. Zu den rechtshindernden Einwendungen gehören die aus §§ 104, 125, 134, 138. Als rechtsvernichtende Einwendung zu nennen sind insb Anfechtung, Erfüllung, Erlass, Aufrechnung – vgl aber § 406 –, Rücktritt (BGH NJW 86, 919), Widerruf, Ablauf einer Ausschlussfrist (BAG VersR 69, 337, 338; EzA § 4 TVG Ausschlussfristen Nr 164), Freihalteverpflichtung (BGH NJW 85, 1768, 1769), Erfordernis einer spezifischen Rechnungslegung (BAG DB 94, 2295, 2297), Haftungsausschluss (Braunschw NJW-RR 03, 1187, 1188), gesellschaftliche Beschränkungen bei Ansprüchen unter Mitgesellschaftern (BGH NJW 83, 749). Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung kann ggü dem Zessionar entfallen, wenn die den Missbrauchsvorwurf begründenden Tatsachen nicht auch in seiner Person gegeben sind (BGH WM 18, 472, 475). Umgekehrt kann es sein, dass die Voraussetzungen des § 242 erstmals durch den Zessionar erfüllt werden (BGHZ 151, 236, 243; NJW 01, 1859, 1862; München NJW 70, 663, 664). § 404 umfasst darüber hinaus Einreden wie die Verjährung, Stundung, die Bereicherungseinrede nach § 821 sowie die Zurückbehaltungsrechte gem §§ 273, 320, 321. Soweit es wie bei § 199 I Nr 2 auf subjektive Momente ankommt, muss der Zessionar sich die Kenntnisse des Zedenten zurechnen lassen (BGH NJW 14, 2492; ZIP 22, 1008). Auch prozessuale Einreden gehen dem Schuldner nicht verloren, so etwa aus Schiedsvereinbarungen (BGHZ 71, 162, 165 f; NJW 98, 371), Gerichtsstandsklauseln (Köln VersR 92, 1152) sowie Abreden, die Zwangsvollstreckung wg der Forderungen nicht zu betreiben (Staud/Busche § 404 Rz 32). Zum Übergang des Nachrangrisikos gem §§ 39 I Nr 5, 135 InsO bei Abtretung einer Gesellschafterforderung s BGH NJW 13, 2282 [BGH 21.02.2013 - IX ZR 32/12]. Die Rechtskraft eines Urteils wirkt gem § 325 ZPO für u gg den Zessionar.
II. Begründetheit im Zeitpunkt der Abtretung.
Rn 3
Einwendungen u Einreden müssen bereits im Zeitpunkt der Abtretung begründet sein. Dafür genügt es, dass bei Abtretung ihr Rechtsgrund in dem Schuldverhältnis gelegt war; nicht erforderlich ist, dass schon alle Tatbestandsvoraussetzungen vorgelegen haben (BGHZ 25, 27, 29; 93, 71, 79; NJW-RR 04, 1347, 1348). So wirkt etwa ein im ursprünglichen Schuldverhältnis vereinbarter, auf ein bestimmtes Ereignis bedingter Erlass der Forderung, auch wenn das Ereignis erst nach der Abtretung eintritt (Zweibr NJOZ 14, 1694). Bei gegenseitigen Verträgen kann sich der Schuldner ggü dem Zessionar auch auf Einwendungen stützen, die sich aus der Weiterentwicklung des Schuldverhältnisses ergeben (BGH NJW 83, 1903, 1905; WM 89, 1009, 1010). Sie wirken sich auf die Forderung so aus, als wäre sie nicht abgetreten worden. Ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung kann nach der Differenzmethode unmittelbar mit der Forderung des Zessionars verrechnet u diesem als Einwendung entgegengehalten werden (BGH NJW 58, 1915; 83, 1903, 1905 [BGH 23.03.1983 - VIII ZR 335/81]). Will der Schuldner nach § 281 oder § 323 vorgehen, so muss er die Frist dem Zedenten setzen. Bei der Abtretung von Ansprüchen aus einem Girovertrag kann die Bank dem Zessionar Lastschriften aus der Rückbelastung von Wechseln entgegenhalten (München NJW-RR 92, 1136 [OLG München 11.03.1991 - 26 U 4765/90]). Vereinbarungen zwischen Zedent u Schuldner, durch die das Schuldverhältnis nach der Abtretung zu Lasten des Zessionars verändert oder aufgehoben wird, wirken jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 407 I gg den Zessionar. Bei der Abtretung künftiger Forderungen kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die Abtretung wirksam wird, also den Zeitpunkt des Entstehens der Forderung. Denn der Zessionar erwirbt sie nur mit dem Inhalt, mit dem sie zur Entstehung gelangt (BGH NJW 23, 1361, 1363 [BGH 17.01.2023 - VI ZR 203/22]).
Rn 4
Gestaltungsrechte des Schuldners bestehen weiter (BGH NJW 86, 919 [BGH 16.10.1985 - VIII ZR 287/84]; NJW-RR 04, 1347, 1348). Sie können auch auf ein Verhalten des Zedenten nach der Abtretung gestützt werden u sind diesem ggü auszuüben (RGZ 86, 305, 310). Ist der Schuldner daran gehindert, die Erklärung ggü dem Zedenten abzugeben, weil dieser nicht mehr existiert oder unerreichbar ist, so kann er analog § 770 I dem Zessionar das Bestehen des Gestaltungsrechts einredeweise entgegenhalten (Brandbg NJW-RR 98, 1584; aA Köhler JZ 86, 516, 517f).
Rn 5
Die Verjährungsfrist läuft ohne Rücksicht auf die Abtretung weiter. Kommt es für den Verjährungsbeginn auf subjektive Momente an (§ 199), ist vor dem Forderungsübergang auf die Person des Zedenten, danach auf die des Zessionars abzustellen (BGHZ 48, 181, 183; NJW 73, 702f).
Rn 6
Das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 wg eines Anspruchs gg den Zedenten kann der Schuldner ggü dem Zessionar geltend machen, wenn sein Gegenanspruch vor Abtretung bereits fällig war (BGHZ 19, 153, 162; NJW 91, 1821) oder entspr § 406 dem Rechtsgrund nach bereits gegeben war u spätestens mit de...