Gesetzestext
1Mit der Übergabe der verkauften Sache geht die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung auf den Käufer über. 2Von der Übergabe an gebühren dem Käufer die Nutzungen und trägt er die Lasten der Sache. 3Der Übergabe steht es gleich, wenn der Käufer im Verzug der Annahme ist.
A. Grundsätzliches.
I. Zweck.
Rn 1
§ 446 verlagert Zufallsgefahren (1), Nutzungen und Lasten (2) als Emanationen des Eigentums schon mit Übergabe der Sache bzw mit Annahmeverzug (3) auf den Käufer. So wird der Übergang der Preisgefahr auf den Käufer von der Übereignung abgekoppelt.
II. Bedeutung.
Rn 2
Die praktische Bedeutung ist erheblich: Übergaben vor Eigentumserwerb sind verbreitet, zB Kauf unter EV (MüKo/Westermann Rz 1) und Grundstückskauf. Zudem legt § 446 die Zäsur für die Freiheit von Sachmängeln (§ 434 Rn 7) und die Geltung des Mängelrechts (§ 437 Rn 3) fest.
III. Anwendungsbereich.
Rn 3
§ 446 gilt für den Sachkauf und den Kauf von Rechten, die gem § 453 III zum Besitz einer Sache berechtigen. Gleich stehen alle Kaufgegenstände des § 453, bei denen eine Übergabe von Sachen oder sachartigen Vermögenswerten stattfindet, zB Unternehmen (Grüneberg/Weidenkaff Rz 2; zur aF BGHZ 138, 195, 204f), Strom: Durchlaufen durch den Zähler entscheidet (Staud/Beckmann Rz 20 mwN). Anwendbar ist § 446 allein auf Sachmängel, da es für Rechtsmängel auf den Eigentumsübergang ankommt (§ 435 Rn 4; HP/Faust Rz 5). Auch bei Wertpapieren wird der Gefahrübergang nicht auf Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorverlagert (München WM 12, 649, 650; LG Frankfurt/M WM 12, 363, 364). Zur Anwendbarkeit nur bei Übergabe einer mangelfreien Kaufsache s HP/Faust § 434 Rz 23; Skamel 145 f. Der Geltungsbereich wird durch vorrangiges Recht limitiert: § 447 I ist für den Versendungskauf lex specialis zu 1, während 2 anwendbar bleibt. Für den Erbschaftskauf ordnet § 2380 die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Vertragsschlusses im Vorrang zu 1 u 2 an. Zu Käufen in der Zwangsversteigerung s § 56 ZVG. Zu den Besonderheiten bei Hinterlegung außerhalb von Annahmeverzug s §§ 378, 379. § 446 schließt Ansprüche des Käufers gem § 285 auf das stellvertretende Commodum nicht aus (HP/Faust Rz 19; MüKo/Westermann Rz 6).
IV. WKRL.
Rn 4
Die WKRL enthält jedenfalls außerhalb des Verbrauchsgüterkaufrechts keine Vorgaben zu Regelungen der Gefahrtragung. Zu beachten ist beim Verkauf von Waren mit digitalen Elementen zwischen Unternehmer u Verbraucher, dass § 475b II–IV Abweichungen vom Grundsatz der Mangelfreiheit im Zeitpunkt des Gefahrübergangs enthalten, vgl § 475b Rn 7.
V. Abdingbarkeit.
Rn 5
Die Norm ist auch für Verbrauchsgüterkauf (s § 476) dispositiv (BGH NJW 14, 1086 [BGH 15.01.2014 - VIII ZR 70/13] Rz 16), auch durch AGB (Celle NJW-RR 11, 132, 133 [BGH 11.11.2010 - VII ZR 44/10]; Hamm BeckRS 19, 7050 Rz 25; zu den Grenzen s BGH NJW 14, 454 [BGH 06.11.2013 - VIII ZR 353/12] Rz 20 für Online-Möbelhandel). Allerdings darf Abbedingung nicht gegen sonstiges zwingendes Recht verstoßen: Vorziehen von 1 auf früheren Zeitpunkt kann zwingendes Recht des Verbrauchers auf Lieferung einer mangelfreien Kaufsache verletzen, deshalb frühestes Datum der Vertragsschluss (vgl MüKo/Westermann Rz 14; HP/Faust Rz 24; im Falle einer Auktion der Zuschlag, BGH NJW 21, 2281 [BGH 07.04.2021 - VIII ZR 49/19] Rz 49).
B. Zeitpunkt.
I. Wirksamer Kaufvertrag.
Rn 6
Generelle Voraussetzung ist die Wirksamkeit des Kaufvertrags (Grüneberg/Weidenkaff Rz 9; zur aF BGHZ 138, 195, 206). Daraus folgt:
Rn 7
(1) Bei Übergabe vor Eintritt einer aufschiebenden Bedingung ist zu unterstellen, dass im Falle des späteren Eintritts die Wirkungen rückbezogen auf die Übergabe vereinbart sind (§ 159), § 446 also gilt. Fällt die Bedingung endgültig aus, kommt § 446 mangels wirksamen Kaufvertrags nicht zur Anwendung (Grüneberg/Weidenkaff Rz 11; zur aF BGH NJW 75, 776, 777f). Zum Kauf auf Probe s § 454 Rn 12.
Rn 8
(2) Für die Erteilung einer öffentlich- oder privatrechtlichen Genehmigung gilt Rn 7 entspr (vgl § 184 I; Grüneberg/Weidenkaff Rz 12).
Rn 9
(3) Bei auflösender Bedingung ist § 446 anwendbar, wenn Bedingung ausbleibt. Bei Bedingungseintritt entfallen Wirkungen von § 446, so dass gezahlter Kaufpreis ggf unter Beachtung von § 818 III zu erstatten ist (MüKo/Westermann Rz 6; aA Staud/Beckmann Rz 17); Ersatzansprüche wegen Untergangs oder Verschlechterung der Kaufsache bestehen mangels Verschuldens des Käufers nicht (Grüneberg/Weidenkaff Rz 10).
Rn 10
(4) Da die Heilung eines formunwirksamen Kaufvertrags nur ex nunc wirkt, löst eine vorher erfolgte Übergabe die Wirkungen des § 446 nicht aus (MüKo/Westermann Rz 5 mwN; zur aF BGHZ 138, 195, 206 f; aA Erman/Grunewald Rz 4).
II. Übergabe (S 1 u S 2).
Rn 11
Gemeint ist die Übergabe in Erfüllung der Hauptleistungspflicht von § 433 I 1 Alt 1, also zur Verschaffung des Besitzes, nicht zur Übereignung (Erman/Grunewald Rz 5f). S daher § 433 Rn 14–16. Ob die Einräumung mittelbaren Besitzes ausreicht, entscheiden deshalb die zu § 433 geltenden Grundsätze; dies gilt auch bei der Ausstellung von Legitimationspapieren, zB Orderlagerschein (§ 475g HGB), die eine Übergabe nur aufgrund Vereinbarung ersetzen (s § 433 Rn 15 auch zu folg Nachw; ebenso...