Gesetzestext
(1) 1Zeigt sich innerhalb eines Jahres seit Gefahrübergang ein von den Anforderungen nach § 434 oder § 475b abweichender Zustand der Ware, so wird vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, es sei denn, diese Vermutung ist mit der Art der Ware oder des mangelhaften Zustands unvereinbar. 2Beim Kauf eines lebenden Tieres gilt diese Vermutung für einen Zeitraum von sechs Monaten seit Gefahrübergang.
(2) Ist bei Waren mit digitalen Elementen die dauerhafte Bereitstellung der digitalen Elemente im Kaufvertrag vereinbart und zeigt sich ein von den vertraglichen Anforderungen nach § 434 oder § 475b abweichender Zustand der digitalen Elemente während der Dauer der Bereitstellung oder innerhalb eines Zeitraums von zwei Jahren seit Gefahrübergang, so wird vermutet, dass die digitalen Elemente während der bisherigen Dauer der Bereitstellung mangelhaft waren.
A. Zweck, Anwendungsbereich, Abdingbarkeit.
Rn 1
Die Norm berücksichtigt die generelle Erfahrung, ohne dass es sich um eine im Einzelfall geforderte Voraussetzung handelt (BGH NJW 07, 2619 [BGH 11.07.2007 - VIII ZR 110/06] Rz 11), dass der Unternehmer die Mangelfreiheit bei Gefahrübergang besser überblicken kann als der Verbraucher, zumal er sie zu diesem Zeitpunkt schuldet (§ 434 I; BTDrs 14/6040, 245). Sie gilt auch bei gebrauchten Sachen (BGHZ 159, 215; BGH NJW 05, 3490, 3492) für alle Ansprüche des Käufers wegen Sachmängeln (MüKo/Lorenz Rz 10; aA Erman/Grunewald Rz 3; aA HP/Faust Rz 5: auch Rechtsmängel), zB bei Einbau der Sache durch einen Dritten (BGH NJW 05, 283, 284: Teichbecken), Tierkauf (zur aF: BGH NJW 06, 2250 [BGH 29.03.2006 - VIII ZR 173/05]; 20, 2879 [BGH 27.05.2020 - VIII ZR 315/18] Rz 49; BGH BeckRS 20, 15077 Rz 49), bei einem Rückforderungsanspruch des Käufers für die Kosten einer von ihm als Nacherfüllung qualifizierten Reparatur gegen den Verkäufer (BGH NJW 09, 580 [BGH 11.11.2008 - VIII ZR 265/07] Rz 15), bei der Geltendmachung weiterer Schäden an den ursprünglich gelieferten Teilen der Kaufsache trotz Nachbesserung (Erman/Grunewald Rz 10; aA HP/Faust Rz 21), und für den Unternehmerregress (§ 478 I); zu Garantien s § 479 Rn 9. Einführung einer Beweislastumkehr entspr § 477 durch AGB zugunsten von Unternehmer ist regelmäßig unwirksam (für 12-Monatsfrist BGHZ 164, 196, 206–208). § 477 ist nicht abdingbar (§ 476 I 1 Alt 2, s dort Rn 7) und vAw anzuwenden (EuGH NJW 15, 2237 Rz 55 f ›Faber‹).
B. WKRL.
Rn 2
Die Beweislastumkehr gem § 477 ist von Art 11 gefordert. IRd Umsetzung wurde die Norm umf ergänzt, insb erfuhr der Geltungsbereich der Norm eine Ausweitung in inhaltlicher u zeitlicher Hinsicht. Die Neufassung findet nur auf Verbraucherverträge Anwendung, die ab dem 1.1.22 geschlossen werden. Für die übrigen Verträge s Kommentierung 16. Aufl.
C. Beweislastumkehr.
I. Mangelhaftigkeit der Ware (Abs 1).
1. Abweichender Zustand.
Rn 3
Nach früherer Rspr, va des BGH, wirkt die Vermutung nur zeitlich mit dem Inhalt, dass der aufgetretene Mangel schon bei Gefahrübergang vorlag (BGH NJW 09, 580 Rz 14), der Käufer blieb daher beweispflichtig für die den Mangel begründenden Tatsachen, den Grundmangel (BGHZ 159, 215, 217 ff; 200, 1 Rz 18 ff). Im Anschluss an das Faber-Urteil des EuGH (NJW 15, 2237 Rz 72–75) hat der BGH im Urt v 12.10.16 die Norm grundlegend umgestaltet: Es reicht für die Anwendung der Vermutung, dass der Käufer einen ›mangelhaften Zustand (eine Mangelerscheinung)‹ nachweist (NJW 17, 1093 [BGH 12.10.2016 - VIII ZR 103/15] Rz 36 ff; 22, 686 Rz 72; 20, 2879 Rz 54; BeckRS 20, 15077 Rz 53; 20, 27257 Rz 27; NJW 21, 151 [BGH 09.09.2020 - VIII ZR 150/18] Rz 27; Hamm BeckRS 19, 7050 Rz 31): Dann wird der Mangel als Ursache vermutet. Dieses Verständnis spiegelt sich nunmehr im neuen Wortlaut von I 1, sodass es auf eine Auslegung idS nicht mehr ankommt und ein Zirkelschluss von vornherein vermieden wird (vgl BTDrs 19/27424, 44). Vermutet wird nach dem Wortlaut des § 477 I, dass ein Mangel bereits bei Gefahrübergang vorlag. Dies allein hilft dem Verbraucher nicht weiter, wenn er zur Geltendmachung seiner Rechte nach § 437 das Vorliegen eines Mangels zu einem anderen Zeitpunkt (insb dem Zeitpunkt der Beseitigung des Mangels) zu beweisen hat. Sofern dieser Zeitpunkt innerhalb der Frist des § 477 I liegt, der Käufer zu diesem Zeitpunkt alle Voraussetzungen für die Entstehung des Mängelrechts geschaffen und dieses ggü dem Verkäufer geltend gemacht hat, würde eine solch enge Auslegung jedoch zu Wertungswidersprüchen führen und den bezweckten Schutz des Verbrauchers unterlaufen. § 477 I ist daher jedenfalls in diesen Fällen eine ›Ausstrahlwirkung‹ beizumessen, wonach die Mangelhaftigkeit der Sache zu jedem Zeitpunkt innerhalb der Frist des § 477 I vermutet wird, sofern eine Mangelerscheinung nachgewiesen wurde (BGH NJW 22, 686 Rz 80 ff mit zust Anm Looschelders NJW 22, 659, 662; Staudinger jM 22, 232, 234). Außerdem ist § 477 I in der dargestellten Konstellation eine ›Fortwirkung‹ zu entnehmen, wonach auch zu einem Zeitpunkt außerhalb des in § 477 I genannten Zeitraums (insb dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung) der Nachweis des mangelhaften Zustands inner...