Rn 6a
Nach I 1 Hs 2 gilt die Vermutung nicht, sofern sie mit der Art der Ware oder der Art des Mangels unvereinbar ist. Für die Fälle des II gibt es jedenfalls nach dem Gesetzeswortlaut keine entsprechenden Ausnahmen (s.a. Pfeiffer GPR 22, 223, 230).
I. Art der Ware.
Rn 7
Die Ausn gewinnt Bedeutung va bei gebrauchten Sachen, bei denen abhängig von Alter und Benutzung mit Mängeln zu rechnen ist (BTDrs 14/6040, 245; krit Erman/Grunewald Rz 7; MüKo/Lorenz Rz 18). Bsp: Kfz: gebrauchsbedingt: LG Hanau NJW-RR 03, 1561 f: div Löcher im Boden bei Wohnmobil; nicht gebrauchsbedingt: Köln ZGS 04, 40: Dauerbruch einer Ventilfeder nach 122.000 km/10 Jahren; AG Marsberg ZGS 03, 119: Kabelbrand (zu Recht abl MüKo/Lorenz Rz 19); Motorboot: gebrauchsbedingt: Bremen NJOZ 04, 2059, 2060 f: Motorschaden nach 10 Jahren. Nahe liegt die Ausnahme bei verderblichen Sachen (Erman/Grunewald Rz 7) und Verschleißteilen (vgl Staud/Matusche-Beckmann § 476 Rz 41). Bei Tieren ist insoweit die ständige Entwicklung und Abhängigkeit von Umweltfaktoren besonders zu berücksichtigen (zu aF: für Pferde BGHZ 167, 40 Rz 22–24 m Nachw; Zweibr NJW-RR 11, 1074, 1075). Jedoch verdeutlicht die Ergänzung des I 2, dass nicht etwa pauschal von der Unvereinbarkeit der Beweislastumkehr mit dem Tierkauf ausgegangen werden darf und den Besonderheiten auch durch die verkürzte Dauer Rechnung getragen wird.
II. Art des Mangels.
Rn 8
Auf die Vermutungswirkung des § 477 und die Ausnahme kommt es schon gar nicht an, wenn es bereits an einem mangelhaften Zustand (Mangelerscheinung) innerhalb der Jahresfrist fehlt, so bei verschleißbedingter Auspuffkorrosion (BGH BeckRS 20, 27257 Rz 28) und Rittigkeitsproblemen eines Pferdes (BGH NJW 20, 2879 Rz 53 ff; BeckRS 20, 15077 Rz 52 ff). Eine Unvereinbarkeit mit der Art des Mangels ist etwa bei Mängeln anzunehmen, die nach der Lieferung eingetreten und ausschließlich auf Handlungen des Verbrauchers oder eine eindeutig externe Ursache zurückzuführen sind (Erw 45 zur WKRL). Ausgeschlossen ist die Vermutung auch bei nachträglich üblichen Sachverschlechterungen, wie etwa Verschleiß oder Verderb, die zwar zum Zeitpunkt des Gefahrübergangs einen Sachmangel darstellen können, aber ebenso gut auf einen nachträglichen Gebrauch zurückzuführen sein können (Celle DAR 23, 33; s.a. MüKo/Lorenz Rz 20). Wichtigste Bsp der Ausnahme sind Erkrankungen von Tieren, bei denen sich va aus der Inkubationszeit ergibt, ob abweichender Zustand schon bei Gefahrübergang vorgelegen haben kann (BTDrs 14/6040, 245; grundl BGHZ 167, 40 Rz 25–29; HP/Faust Rz 17): Ja (Ausnahme gilt): Koppen – Pferd (Celle NJW-RR 11, 132, 133); ›Weben‹ – Pferd wegen möglicher Verursachung nach Übergabe: Stallwechsel, Kastration (LG Aurich ZGS 05, 40); vielfältige, auch plötzlich eintretende Ursachen für Erkrankung – Pony (AG Herne ZGS 05, 199); Vernarbung im Mundwinkel – Pferd (Frankf BeckRS 21, 28243 Rz 28 ff). Nein (Ausnahme gilt nicht): Sommerekzem – Pferd (BGHZ 167, 40 Rz 29); Hautpilzerkrankung – Kater (BGH NJW 07, 2619 Rz 10); Kissing-Spines – Pferd (Frankf BeckRS 10, 21927); Osteoarthritis – Pferd (Schlesw BeckRS 14, 08213); Erkrankung 4 Tage nach Übergabe – Hund (LG Essen NJW 04, 527; zust Augenhofer ZGS 04, 385 ff). Bsp für technische/optische Mängel: Ja (Ausnahme gilt): Generell: Mängel, die entweder von Beginn an oder gar nicht vorliegen; Ausn gilt aber nicht schon deshalb, weil Mangel ›typischerweise jederzeit eintreten kann‹ (BGH NJW 05, 3490, 3492 f; 06, 1195 Rz 15; für Tierkauf BGHZ 167, 40 Rz 26; NJW 07, 2619 [BGH 11.07.2007 - VIII ZR 110/06] Rz 10; Maultzsch NJW 06, 3091, 3093): umfangreiche, augenfällige Lackkratzer bei Neufahrzeug (Ddorf NJW-RR 17, 1134 Rz 49f); Karosserieschäden, auch zu anderen, nicht ausgenommenen Mängeln (Celle NJW 04, 3565); Turboladerdefekt (Stuttg ZGS 05, 156, 158). Nein (Ausnahme gilt nicht): erst bei genauer Betrachtung erkennbare Karosserieschäden (BGH NJW 05, 3490, 3492 f; 06, 1195 Rz 16); Riss eines Zahnriemens aufgrund Fahrzeugmangels (Naumbg ZGS 10, 526, 527 f; s Staud/Matusche-Beckmann § 476 Rz 46); Riss im Display eines Mobiltelefons (LG Kobl BeckRS 15, 07465); im Zusammenhag mit Verschleißschäden, sofern eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt, nach welcher keine Verschleißschäden vorliegen (BGH NJW 22, 686 [BGH 10.11.2021 - VIII ZR 187/20] Rz 67 ff). Bei Minderlieferungen wird Ausn regelmäßig gegeben sein, anders bei zu geringer Befüllung einer verschlossenen Verpackung (MüKo/Lorenz Rz 23).
III. Beweislast.
Rn 9
Entsprechend Rn 6 trifft den Unternehmer auch die volle Beweislast dafür, dass § 477 aufgrund der beiden Ausnahmen Art der Sache und des Mangels nicht anwendbar ist (Grüneberg/Weidenkaff Rz 10).