Rn 184
Gegenseitige Verträge können als wucherähnliche Rechtsgeschäfte nach § 138 I nichtig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung objektiv ein auffälliges Missverhältnis besteht und eine verwerfliche Gesinnung des begünstigten Teils hervorgetreten ist, insb wenn dieser die wirtschaftlich schwächere Lage des anderen Teils (dessen Unterlegenheit) bei der Festlegung der Vertragsbedingungen bewusst zu seinem Vorteil ausgenutzt oder sich zumindest leichtfertig der Erkenntnis verschlossen hat, dass sich der andere Teil nur auf Grund seiner schwächeren Lage auf die ihn beschwerenden Bedingungen eingelassen hat (BGH MDR 95, 998 [BGH 11.01.1995 - VIII ZR 82/94]). Es sind drei Stufen zu prüfen. Auf der ersten Stufe ist festzustellen, ob zwischen dem Wert des Miet- oder Pachtobjektes und der vereinbarten Miete oder Pacht ein Missverhältnis besteht. Für die Berechnung des Verhältnisses ist in der Wohnraummiete Ausgangspunkt die ortsübliche Vergleichsmiete (§ 558 Rn 8), bei der Gewerberaummiete hingegen die jeweilige Marktmiete (KG ZMR 01, 614). Während es sich bei der Marktmiete um diejenige Miete handelt, die zum jeweiligen Zeitpunkt konkret bei einer Vermietung zu erreichen ist, sind bei der Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete übliche Entgelte zu berücksichtigen, die in den letzten drei Jahren vereinbart oder geändert worden sind (s § 558 Rn 8). Die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete/Marktmiete haben die Gerichte ggf durch Sachverständige festzustellen; ertragswertorientierte Feststellungen (›EOP-Methoden‹) sind nicht zulässig (BGH MDR 05, 26 [BGH 14.07.2004 - XII ZR 352/00]; NJW 02, 55 [BGH 13.06.2001 - XII ZR 49/99]).
Rn 185
Auf der zweiten Stufe ist zu ermitteln, ob das Missverhältnis auffällig ist. Maßgebender Zeitpunkt ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGHZ 7, 111, 114; Naumbg GuT 02, 15, 16; KG ZMR 01, 614). Sinkt die ortsübliche Marktmiete nach Vertragsabschluss ab, ist dies auf die Wirksamkeit der Miethöhevereinbarung grds ohne Einfluss (BGH ZMR 02, 654). In der Gewerberaummiete liegt ein auffälliges Missverhältnis vor, wenn die vereinbarte Miete knapp 100 % höher ist als die ortsübliche Miete (BGH NJW 08, 3210, 3211 mwN), in der Wohnraummiete bei einer Überschreitung von 50 % (BGH ZMR 97, 401; KG ZMR 01, 614, 615). Auf der dritten Stufe ist zu klären, ob sittenwidrige Umstände hinzutreten, zB eine verwerfliche Gesinnung des durch den Vertrag objektiv Begünstigten (BGH MDR 05, 26; BGHZ 141, 257, 263 = NJW 99, 3187). Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung legt dabei iA den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten nahe (BGH NJW 01, 1127). Die Schlussfolgerung leitet sich aus dem Erfahrungssatz her, dass idR außergewöhnliche Leistungen nicht ohne Not – oder nicht ohne einen anderen den Benachteiligten hemmenden Umstand – zugestanden werden und auch der Begünstigte diese Erfahrung teilt (BGH NJW 01, 1127, 1128 [BGH 19.01.2001 - V ZR 437/99]). Etwas anderes gilt bei einem gewerblichen Miet- oder Pachtverhältnis. Dort bedarf es angesichts der häufig auftretenden Bewertungsschwierigkeiten der Prüfung, ob das Missverhältnis für den Begünstigten subjektiv erkennbar war (BGH NJW 08, 3210, 3211 [BGH 23.07.2008 - XII ZR 134/06]).
Rn 186
Der Tatbestand des Mietwuchers iSv § 138 II spielt neben der Generalklausel des § 138 I keine Rolle. Dies liegt bereits daran, dass beim wucherähnlichen Geschäft vom Missverhältnis auf die verwerfliche Gesinnung geschlossen wird (Rn 185). Da § 138 II zur Konkretisierung des § 138 I ins Gesetz gekommen ist, sind Fälle, in denen nur § 138 II erfüllt ist, aber auch iÜ nicht vorstellbar. IÜ ist § 291 I StGB (s Rn 188) stets spezieller (str). Der BGH zitiert § 138 I und II nebeneinander (BGH NZM 05, 944, 946).