a) Überblick.
Rn 71
Fällt der Mieter einer unbeweglichen Sache – zB einer Mietwohnung (LG Karlsruhe ZIP 03, 677; AG Köln Info M 10, 494) – in Insolvenz, besteht das Mietverhältnis zunächst fort (§ 108 I 1 InsO); § 108 I InsO verdrängt insoweit § 103 I InsO (BGH NJW 15, 162 Rz 8; NJW 14, 2585 [BGH 22.05.2014 - IX ZR 136/13] Rz 8). Die Mietvertragsparteien können das Mietverhältnis auch nicht ›wegen‹ der Insolvenz kündigen. Darüber hinaus verbietet § 112 InsO zunächst eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs oder Verschlechterung der Vermögensverhältnisse ›nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens‹ (Kündigungssperre). § 112 InsO mutet dem Vermieter also einen (weiteren) Entgeltausfall für bis zu 2 Monate zu. Kommt es nach dem Insolvenzantrag erneut zu Zahlungsrückständen, kann der Vermieter entspr den vertraglichen oder allg gesetzlichen Regeln fristlos kündigen (BGH NZM 02, 859, 860). Die Addition von Rückständen vor und nach dem Antrag ist nicht möglich. Dem Vermieter ist es auch verwehrt, einen Zahlungsrückstand für die Zeit nach der Antragstellung herbeizuführen, indem er nach dem Antrag eingehende Zahlungen mit Rückständen aus der Zeit vor der Antragstellung verrechnet (LG Neubrandenburg WuM 01, 551 [LG Neubrandenburg 14.08.2001 - 1 S 114/01]). Die auf dem mutmaßlichen vernünftigen Willen des Schuldners beruhende Tilgungsreihenfolge des § 366 II gilt nicht, wenn sie diesem erkennbar widerspricht (BGH NJW 01, 815 [BGH 14.11.2000 - XI ZR 248/99]). Ein Tilgungsbestimmungsrecht nach § 366 I ist dem Insolvenzverwalter nicht möglich (BGH NJW 15, 162 [BGH 09.10.2014 - IX ZR 69/14] Rz 16). Zu einer Bedienung der Miete ist auch der vorläufige Insolvenzverwalter befugt, sogar wenn die Zahlungspflicht im Falle eines später eröffneten Insolvenzverfahrens nicht den Charakter einer Masseverbindlichkeit gem § 55 II InsO erlangt (BGH NZM 02, 859, 863).
Rn 72
Ansprüche aus einem gem § 108 I InsO fortbestehenden Mietvertrag sind gem § 55 I Nr 2 Fall 2 InsO Masseverbindlichkeiten, wenn ihre Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss (BGH NJW 15, 162 [BGH 09.10.2014 - IX ZR 69/14] Rz 8; 13, 1243 Rz 10). Erwirbt ein Vermieter durch fortgesetzten Gebrauch einer Mietsache durch den Insolvenzverwalter eine Neumasseverbindlichkeit, ist ihm im Falle der erneuten Anzeige der Masseunzulänglichkeit durch den Verwalter die Leistungsklage versagt; ihm bleibt die Möglichkeit, auf Feststellung seiner Forderung zu klagen (Kobl ZMR 07, 786).
Rn 73
Gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen des Schuldners aus einer selbständigen Tätigkeit frei, geht der Mietvertrag unmittelbar auf den Mieter über (BGH NJW 12, 1361 [BGH 09.02.2012 - IX ZR 75/11] Rz 16 ff).
b) Wohnungsmietverhältnis.
Rn 74
Handelt es sich um ein Wohnungsmietverhältnis, kann der Verwalter/Treuhänder die Masse gem § 109 I 2 InsO enthaften (BGH NJW 15, 3087; 14, 2585 [BGH 22.05.2014 - IX ZR 136/13] Rz 9). Die Enthaftungserklärung ggü dem Vermieter bewirkt, dass der Mieter die alleinige Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zurückerhält (BGH NJW 15, 3087 [BGH 17.06.2015 - VIII ZR 19/14]; 14, 1954 [BGH 09.04.2014 - VIII ZR 107/13] Rz 13). Das Verwaltungsrecht geht dann auf den Mieter über (BGH NJW 17, 1747 Rz 9; 14, 2585 Rz 14). Der Vermieter hat deshalb nach diesem Zeitpunkt eine Kündigung (wieder) an den Schuldner zu richten (BGH NJW 17, 1747 [BGH 16.03.2017 - IX ZB 45/15] Rz 9), für eine Klage gegen den Vermieter auf Auszahlung eines nach der Enthaftungserklärung entstandenen Guthabens (§ 556 Rn 121 ff) fehlt dem Insolvenzverwalter die Prozessführungsbefugnis (BGH NJW 17, 1747 Rz 9) und die Kündigungssperre des § 112 Nr. 1 InsO verliert ihre Geltung (BGH NJW 17, 1747 Rz 9). Eine außerordentliche Kündigung kann daher auch auf Mietrückstände gestützt werden, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgelaufen sind (BGH NJW 15, 3087 [BGH 17.06.2015 - VIII ZR 19/14]). Mit dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung scheidet auch der Anspruch des Mieters auf Rückzahlung einer Mietkaution bis zur gesetzlich zulässigen Höhe aus der Insolvenzmasse aus (BGH NJW 17, 1747 [BGH 16.03.2017 - IX ZB 45/15] Rz 10). Ist die Mietsache noch nicht übergeben worden, können nach § 109 II InsO beide Vertragsparteien vom Vertrag zurücktreten; Lösungsklauseln sind unwirksam (s.a. Hamm NZM 02, 343). Die Mietforderungen muss der Mieter aus seinem insolvenzfreien Vermögen befriedigen (BGH NJW 14, 2585 Rz 28). Die Entstehung oder Realisierung eines dem Mieter aus dem Mietverhältnis zustehenden Anspruchs, etwa auf Auszahlung eines Nebenkostenguthabens, fällt nicht als Neuerwerb in die Masse (BGH NJW 14, 2585 [BGH 22.05.2014 - IX ZR 136/13] Rz 35). Die Erklärung nach § 109 I 2 InsO führt nicht dazu, einer Nachforderung für vor der Insolvenzeröffnung abgeschlossene Abrechnungszeiträume ihren Charakter als (einfache) Insolvenzforderung zu nehmen (BGH NJW-RR 11, 876 [BGH 13.04.2011 - VIII ZR 295/10] Rz 15).
c) Gewerberaummiete.
Rn 75
Der Insolvenzverwalter kann in der Gewerberaummiete das Mietverhältnis neben den allg Gründen auch nach