Gesetzestext
(1) 1Der Mieter kann der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. 2Dies gilt nicht, wenn ein Grund vorliegt, der den Vermieter zur außerordentlichen fristlosen Kündigung berechtigt.
(2) Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.
(3) Bei der Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters werden nur die in dem Kündigungsschreiben nach § 573 Abs. 3 angegebenen Gründe berücksichtigt, außer wenn die Gründe nachträglich entstanden sind.
(4) Eine zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarung ist unwirksam.
A. Grundsätzliches.
Rn 1
§ 574 I entspricht § 556a I und IV aF, § 574 II und III entsprechen § 556a I 2 und 3 aF und § 574 IV entspricht § 556a VII aF. IRd Härteklausel muss es zu einer Abwägung der besonderen Belange des Mieters in Relation zum Kündigungsrecht des Vermieters kommen (BGH ZMR 19, 848; 05, 843). Die Sozialklausel gehört zum Bestandsschutz des Mieters. § 574 gilt für unbefristete Wohnraummietverträge (Ausnahme: § 575a II); auch für Verträge zugunsten Dritter (AG Hambg-Altona ZMR 11, 882). § 574 ist nicht abdingbar.
B. Kündigung durch den Vermieter.
Rn 2
Der Mieter kann sich primär nur bei formgerechter (§ 568) ordentlicher Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter gem §§ 573 ff auf die Sozialklausel berufen, aber auch bei einer außerordentlichen Kündigung mit gesetzlicher Frist, nicht jedoch, wenn nach § 543 aus wichtigem Grund gekündigt wurde. Es genügt, dass ein solcher Grund vorliegt; es muss nicht fristlos gekündigt worden sein, § 574 I 2. Ggü Kündigungen nach §§ 540 I 1, 544, 563 IV, 563a II, 564 und § 57a ZVG kann der Mieter nach § 574–574c widersprechen. Zugunsten des Vermieters werden bei der Interessenabwägung (LG München I ZMR 17, 978) diejenigen Gründe berücksichtigt, die im Kündigungsschreiben (§ 573 III) genannt sind, § 574 III. Der Vermieter soll (Obliegenheit) den Mieter rechtzeitig auf sein Widerspruchsrecht nach §§ 574–574b hinweisen, § 568 II; bei Unterlassen beginnt die Zwei-Monats-Frist des § 574b II 1 nicht zu laufen (§ 574b II 2). Der Vermieter hat bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist keinen Erklärungsanspruch ggü dem Mieter (LG Rostock GE 22, 202).
Rn 3
Bei gleichzeitiger Kündigung des Mieters und des Vermieters, ist der Fortsetzungsanspruch des Mieters idR ausgeschlossen, insb wenn objektiv ein Grund vorliegt, der eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter rechtfertigt (zur Schonfristzahlung LG Berlin GE 18, 763). Der Härtegrund muss schon vor Ablauf der Kündigungsfrist vorgelegen haben (LG Berlin ZMR 24, 120; AG München ZMR 23, 718).
C. Härte für den Mieter.
Rn 4
Der Widerspruch des Mieters (vgl Harz AnwZert MietR 6/2015 Anm 1) – bei Vertrag zugunsten Dritter auch des Dritten (AG Hambg-Altona ZMR 11, 882) – ist nur dann wirksam, wenn die vertragsmäßige Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeutet (§ 574 I 1). Der Schutz des räumungsunfähigen Mieters kann im Fall einer fristlosen Kündigung nicht über die Sozialklausel der §§ 574, 574a bewirkt werden (LG München I ZMR 16, 449). Die besonderen Belange des Mieters im Einzelfall (individuelle Härte; LG Heilbronn WuM 22, 375) sind (erst) auf Widerspruch zu berücksichtigen, BGH ZMR 17, 722 und 791.
I. Geschützter/berechtigter Personenkreis.
Rn 5
Privilegiert sind nach § 574 I 1 neben dem vertragstreuen (AG Lörrach WuM 12, 565; nicht nach Schonfristzahlung BGH ZMR 20, 932) Mieter und seiner Familie auch die anderen ›Angehörigen seines Haushaltes‹, dh Personen, die dauerhaft und nicht nur vorübergehend im Haushalt des Mieters wohnen, wie Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Pflegekinder oder Kinder des Lebenspartners. Str ist, ob diese Personen als Untermieter noch privilegiert sind (vgl Franke ZMR 93, 93). Es genügt, wenn die Härte bei einem Familienmitglied des Mieters oder bei einer Mehrheit von Mietern bei einem dieser Mieter vorliegt, wobei die Fortsetzung des Mietverhältnisses dann für alle Mieter zu fordern ist.
II. Härte.
Rn 6
Die Beendigung des Mietverhältnisses stellt dann eine Härte (LG Berlin GE 15, 1165; LG München I ZMR 17, 978) für den Mieter dar, wenn zB eine betagte pflegebedürftige Mieterin, die an Depressionen sowie Anpassungsstörungen mit Angstkomponenten leidet, nur eingeschränkt gehfähig ist, in der Wohnung und Umgebung tief verwurzelt ist und die tägliche Unterstützung ihrer Tochter benötigt (AG Nürnberg WuM 20, 288). Bei der ernsthaften Gefahr eines Suizids des Mieters bereits im Falle einer Verurteilung zur Räumung kann ein Härtefall bejaht werden (BGH ZMR 23, 181; bei Räumung BGH WuM 23, 217). Zur Prüfungspflicht des Gerichts beim Härteeinwand ›Depressionen‹ vgl Beyer jurisPR-MietR 8/23 Anm 2. Nachträglich e...