1. Anbahnung des Arbeitsvertrags.
Rn 52
Zur Klärung der Eignung des Bewerbers dient das Vorstellungsgespräch. Veranlasst der ArbG das Gespräch, so trägt er gem §§ 670, 662 die verkehrsüblichen und erforderlichen Auslagen, nicht aber Zeitaufwand und Verdienstausfall (BAG NZA 89, 468; DB 77, 1194 [BAG 18.02.1977 - 2 AZR 770/75]).
Rn 53
Zulässige Fragen muss der Bewerber wahrheitsgemäß beantworten. Andernfalls kann der ArbG den Arbeitsvertrag anfechten (§ 123) oder kündigen (§ 626), wenn die wahrheitswidrige Antwort für die Einstellung kausal war und der Bewerber dies erkennen musste (BAG NZA 12, 34; zu Einzelheiten und Einstellungsfragebogen BLDH/Lingemann Kap 1). Nicht zulässig sind insb Fragen nach: (1.) Schwangerschaft (§ 3 I 2 AGG; EuGH NZA 00, 256 – Malburg; BAG BB 93, 433), auch wenn die Bewerberin zur Vertretung einer schwangeren ArbN eingestellt wird (EuGH DB 01, 2451 – Teledanmark); (2.) Behinderung (§ 81 II 1 SGB IX; § 1 AGG), es sei denn, das Fehlen der Behinderung ist wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung für die Tätigkeit (offengelassen BAG NZA 12, 34 [BAG 07.07.2011 - 2 AZR 396/10]; im bestehenden Arbeitsverhältnis ist Frage nach Schwerbehinderung jed zulässig nach 6 Monaten, BAG NZA 12, 555 [BAG 16.02.2012 - 6 AZR 553/10]; § 620 Rn 91); (3.) weiteren Diskriminierungsmerkmalen des § 1 AGG (Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität), sofern nicht ein Rechtfertigungsgrund, §§ 8 ff AGG, vorliegt (§ 2 AGG Rn 4 ff, § 22 AGG Rn 5; BLDH/Lingemann Kap 1); (4.) eingestellten Ermittlungsverfahren (BAG NZA 13, 429 [BAG 27.09.2012 - 2 AZR 955/11]) oder tilgungsreifen bzw bereits getilgten Vorstrafen (BAG NZA 14, 1131 [BAG 20.03.2014 - 2 AZR 1071/12]). Einstellungsfragebögen (§ 94 I BetrVG) und Einstellung (§ 99 BetrVG; BAG NZA 09, 1162 [BAG 23.06.2009 - 1 ABR 30/08]) bedürfen der Zustimmung des Betriebsrats.
2. Der Vertragschluss.
Rn 54
Der Arbeitsvertrag ist grds formfrei, § 105 GewO. Wegen Schriftformerfordernis für Altersgrenzen (BAG NZA 18, 507; dagegen Lingemann NZA 18, 889) ist gesetzliche Schriftform (zum Schriftformerfordernis nach Tarifvertrag BAG NZA 21, 1651 [BAG 24.03.2021 - 10 AZR 16/20]) jedoch dringend zu empfehlen. Das gilt auch, da der ArbG die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederzulegen, die Niederschrift zu unterzeichnen und dem ArbN auszuhändigen hat (§ 2 NachwG), und zwar bei bestimmten Vertragsbedingungen (Name und Anschrift der Vertragsparteien, Angaben zum Arbeitsentgelt und zur Arbeitszeit) bereits spätestens am ersten Tag der Arbeitsleistung (§ 2 I 4 NachwG). Eine Verletzung der Nachweispflicht berührt die Wirksamkeit des Arbeitsvertrags nicht, kann jedoch Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zu Gunsten des ArbN (LAG Köln AuA 10, 370; NZA 99, 545; vgl Boudon ArbRB 06, 155) und Schadensersatzansprüche des ArbN begründen (BAG NZA 12, 750); seit der am 1.8.22 in Kraft getretenen Änderung des NachwG ist sie außerdem bußgeldbewehrt (§ 4 NachwG).
Rn 55
Der Arbeitsvertrag kann auch durch Bevollmächtigte geschlossen werden. Er kann auch durch konkludentes Handeln zustande kommen, wobei die Erbringung von Arbeitsleistungen und die Eingliederung in den Betrieb für sich betrachtet nicht ausreichend sind (BAG NZA 22, 1333 [BAG 26.04.2022 - 9 AZR 139/21]).
Rn 56
Soweit für Minderjährige als ArbG nicht § 112 I 1 und als ArbN nicht § 113 I 1 gilt, ist für den Abschluss die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters notwendig.
3. Rechtsmängel des Vertrags.
Rn 57
Auch für den Arbeitsvertrag gelten die §§ 134 und 138. Typische Anwendungsfälle von § 134 sind etwa Verstöße gegen europa- und verfassungsrechtliche Grundrechte (zB geschlechtsbezogene Ungleichbehandlung entgegen Art 157 AEUV und Art 3 GG, BAG NZA 96, 653 [BAG 07.11.1995 - 3 AZR 1064/94]) oder nationale Verbotsgesetze (zB Benachteiligungsverbot des § 4 TzBfG, BAG BeckRS 14, 70029) sowie das Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Erlaubnis (zB Arbeitserlaubnis, vgl ErfK/Preis § 611a Rz 362). Auch Scheinverträge sind nach § 117 nichtig (BAG NZA 21, 37 [BAG 14.10.2020 - 5 AZR 409/19]). Ein Verstoß gegen ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverbot (zB § 3 MuSchG) führt hingegen nicht zur Nichtigkeit des Arbeitsvertrags nach § 134, sondern nur zu einem Ruhen der vertraglichen Hauptpflichten; Nebenpflichten und Betriebszugehörigkeit bleiben aufrechterhalten (BAG DB 01, 486; ErfK/Schlachter § 3 MuSchG Rz 2). Typische Fälle eines Verstoßes gegen § 138 sind (1) auf sittenwidrige Leistung gerichtete Arbeitsverträge (BAG DB 76, 2479 [BAG 01.04.1976 - 4 AZR 96/75]); (2) Überwälzung des Betriebs- oder Wirtschaftsrisikos auf den ArbN durch Vereinbarung einer Verlustbeteiligung (BAG DB 91, 659); (3) erfolgsabhängiges Entgelt, wenn der ArbN selbst durch vollen Einsatz seiner Arbeitskraft kein ausreichendes Einkommen erzielen kann (BAG DB 12, 1877); (4) eine übermäßige Vertragsbindung des ArbN (BAG NZA 18, 297). (5) Wucher iSd § 138 II liegt vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal 2/3 des in der betreffenden Branche oder Wirtschaftsregion übli...