I. Betrieb oder Betriebsteil.
Rn 3
Wirtschaftliche Einheit iSd Richtlinie (und damit Betrieb oder Betriebsteil iSv § 613a) ist eine auf Dauer angelegte wirtschaftliche Einheit iSe organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit (EuGH C-298/18 – Grafe und Pohle./. Südbrandenburger Nahverkehrs GmbH, OSL Bus GmbH, NZA 20, 443 = ECLI:EU:C:2020:121; EuGH NZA 16, 31; BAG BeckRS 21, 26396; NZA 20, 1091 [BAG 14.05.2020 - 6 AZR 235/19]). Betriebsteil ist hierbei eine selbstständig abtrennbare organisierte Gesamtheit von Personen und/oder Sachen, in der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird (BAG NZA 14, 436; 11, 1231 [BAG 07.04.2011 - 8 AZR 730/09]; 10, 499, Anm Lingemann ArbR 10, 12 [BAG 17.12.2009 - 8 AZR 1019/08]). Nur wenn die übernommenen Betriebsmittel schon beim Veräußerer die Qualität zumindest einer solchen wirtschaftlichen Einheit haben, kommt ein Betriebsteilübergang in Betracht, die Entstehung einer solchen Einheit beim Erwerber reicht nicht aus (EuGH C-458/12 – Amatori NZA 14, 423 = ECLI:EU:C:2014:124; BAG NZA 14, 436 [BAG 12.12.2013 - 8 AZR 1023/12]).
II. Übergang der wirtschaftlichen Einheit auf einen anderen Inhaber.
Rn 4
Die wirtschaftliche Einheit geht über, wenn der Inhaber wechselt, also die natürliche o juristische Person mit Arbeitgeberverpflichtungen ihre Verantwortung an den Erwerber abgibt (BAG NZA 18, 933 [BAG 25.01.2018 - 8 AZR 309/16]), die Einheit jedoch auch beim neuen Inhaber ihre Identität bewahrt (EuGH NZA 16, 31 – Aira Pascual ua.; BAG NZA 19, 1279). Maßgeblich sind eine Vielzahl wertender Kriterien (st Rspr, EuGH NZA 06, 29 – Güney-Görres und Demir; BAG NZA 19, 1279 [BAG 20.03.2019 - 7 AZR 409/16]): ua die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel, wie Gebäude oder bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft (jedoch kein Betriebsübergang bei Übernahme von Kundenaufträgen durch Dritten und Fortsetzung der Abwicklung im bisherigen Betrieb [BAG NZA 07, 1428]) sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten (Verlegung ins grenznahe Ausland steht nicht entgegen [BAG NJOZ, 15, 1666; NZA 11, 1143]) und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Umstände sind Teilaspekte einer vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen nicht isoliert betrachtet werden (EuGH NZA 16, 31 – Aira Pascual ua; BAG NZA-RR 17, 123 [BAG 25.08.2016 - 8 AZR 53/15]). Die bloße Möglichkeit der unveränderten Fortführung reicht nicht aus, sondern nur die tatsächlich entspr Fortführung durch den Erwerber (BAG AP BGB § 613a Nr. 444). Die Einheit muss ihre organisatorische Selbstständigkeit nicht bewahren, sofern die funktionelle Verknüpfung zwischen den übertragenen Produktionsfaktoren beibehalten wird und es dem Erwerber erlaubt, diese Faktoren zu nutzen, um derselben oder einer gleichartigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen (EuGH C-664/17 – Ellinika Nafpigeia NZA 19, 889 = ECLI:EU:C:2019:496; 09, 251 – Klarenberg, Anm Lingemann FD ArbR 09, 277465; BAG DB 13, 2336; NZA 12, 509). Die Absicht der späteren Liquidation oder Insolvenz schließt einen Betriebsübergang nicht aus (EuGH NZA 19, 889).
Rn 5
Die neuere Rspr des BAG unterscheidet terminologisch nicht mehr zwischen betriebsmittelgeprägten und betriebsmittelarmen Betrieben, sondern wie folgt:
Rn 6
Kommt es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, kann eine strukturierte Gesamtheit von ArbN trotz des Fehlens nennenswerter materieller oder immaterieller Vermögenswerte eine wirtschaftliche Einheit bilden. Wenn eine Einheit ohne nennenswerte Vermögenswerte funktioniert, kann die Wahrung ihrer Identität nach ihrer Übernahme nicht von der Übernahme derartiger Vermögenswerte abhängen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in einem solchen Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt (EuGH NZA 18, 1053; BAG NZA-RR 17, 126 [BAG 25.08.2016 - 8 AZR 53/15]). Bei ›Nicht-Know-how-Trägern‹ reichen 60 % wohl nicht aus (BAG NZA 06, 31 [BAG 24.05.2005 - 8 AZR 333/04]), bei ›Know-how-Trägern‹ können schon 57,5 % genügen (BAG BB 12, 3144 [BAG 21.06.2012 - 8 AZR 181/11]).
Rn 7
Kommt es hingegen nicht im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft an, da die Tätigkeit bspw in erheblichem Umfang materielle Betriebsmittel erfordert, ist bei der Würdigung zu berücksichtigen, ob diese vom alten auf den neuen Inhaber übergehen (EuGH NZA 01, 249 – Liikenne; BAG NZA-RR 17, 126 [BAG 25.08.2016 - 8 AZR 53/15]) und für diesen von Nutzen sind (EuGH C-298/18 – Grafe und Pohle NZA 20, 443 = ECLI:EU:C:2020:121; Anm Winzer ArbRAktuell 20, 226). Das gilt namentlich, wenn ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht (EuGH NZA 16, 31; BAG NJOZ 15, 1665). F...