I. Annahmeverzug, S 1.
Rn 3
Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs des Dienstberechtigten sind in den §§ 293–300 geregelt, während §§ 301–304 die für Dauerschuldverhältnisse wenig passenden allgemeinen und § 615 die nur für Dienst- und Arbeitsverhältnisse geltenden besonderen Rechtsfolgen festlegt.
1. Voraussetzungen des Annahmeverzugs.
a) Erfüllbares Dienstverhältnis.
Rn 4
Voraussetzung ist zunächst ein wirksames – auch faktisches (§ 611 Rn 58) – Dienst-/Arbeitsverhältnis. Das Dienstverhältnis ist erfüllbar, wenn Dienstverpflichteter zur Dienstleistung verpflichtet und Dienstnehmer zur Annahme berechtigt ist. Daher kein Annahmeverzug bei rückwirkend begründetem Arbeitsverhältnis (BAG NZA 16, 691 [BAG 27.01.2016 - 5 AZR 9/15]; 15, 1460 [BAG 19.08.2015 - 5 AZR 975/13]) oder wenn Dienstverpflichteter wirksam von Dienstpflicht befreit ist, zB bei Urlaubsgewährung (BAG NZA 01, 597 [BAG 23.01.2001 - 9 AZR 26/00]), vertraglich vereinbarter Freistellung (BAG NZA 08, 595 [BAG 23.01.2008 - 5 AZR 393/07]), ruhendem Arbeitsverhältnis (zB Elternzeit, LAG Niedersachsen LAGReport 04, 168), oder erfolgreichem Auflösungsantrag nach § 9 KSchG (BAG NZA 18, 646).
b) Ordnungsgemäßes Angebot.
Rn 5
Der dienstverpflichtete ArbN muss die geschuldete Leistung (BAG NZA 16, 494 [BAG 18.11.2015 - 5 AZR 814/14]) anbieten, § 293, soweit dies nicht ausnahmsweise entbehrlich ist (§ 296). Grds ist tatsächliches Angebot (§ 294) erforderlich am Arbeitsort oder Arbeitsplatz, um mit der geschuldeten Arbeitsleistung zu beginnen (BAG NZA 17, 1528 [BAG 28.06.2017 - 5 AZR 263/16]).
Rn 6
Ein wörtliches Angebot genügt, wenn der Dienstberechtigte (ArbG) vorher erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen, oder erforderliche Mitwirkungshandlungen unterlässt (§ 295 1). Wörtlichem Angebot steht die Aufforderung an den ArbG, die Mitwirkungshandlung vorzunehmen, gleich (§ 295 2). Ein tatsächliches oder wörtliches Angebot ist auch im ungekündigten Arbeitsverhältnis – zB bei Wiedereintritt der Leistungsfähigkeit oder -bereitschaft – erforderlich (BAG MDR 94, 77), ein tatsächliches Angebot, wenn die Wirksamkeit eines Aufhebungsvertrags strittig ist (BAG NZA 06, 435). Vom ArbG als erfüllungsuntauglich eingestufte Arbeit muss der ArbN nicht anbieten (BAG DB 08, 1573).
Rn 7
Kündigung (§ 620 Rn 31 ff) ist wichtigster Fall der Ablehnungserklärung iSv § 295 1 (Rn 11).
Rn 8
Freie Dienstnehmer (auch die Organe juristischer Personen, § 611 Rn 30) müssen grds auch nach Kündigung ihre Dienste gem § 295 anbieten (BGH NJW-RR 97, 538 [BGH 16.12.1996 - II ZR 268/95]). Ausreichend ist jedoch, wenn Protest des Dienstverpflichteten gegen die Kündigung erkennbar ist, zB durch Gehaltsklage (BGH aaO). Ist Weiterbeschäftigung ausgeschlossen, zB weil neuer Geschäftsführer bestellt ist, ist Angebot gem § 296 entbehrlich (BAG NZA 06, 1094 [BAG 12.07.2006 - 5 AZR 277/06]; BGH NJW 01, 288 [BGH 09.10.2000 - II ZR 75/99]).
Rn 9
Im gekündigten Arbeitsverhältnis oder nach Schließung des Betriebes (BAG NZA-RR 10, 660 [BAG 22.10.2009 - 8 AZR 766/08]) ist Angebot des ArbN wegen § 296 1 grds entbehrlich (stRspr, BAG NZA 18, 646 mwN), ebenso ggf nach fehlerhafter Unterrichtung iRv § 613a (BAG NZA 06, 1406 [BAG 13.07.2006 - 8 AZR 382/05], Anm Lingemann FD-ArbR 06, 200881), bei Streit lediglich um den richtigen Beendigungszeitpunkt (BAG NZA 13, 1076 [BAG 15.05.2013 - 5 AZR 130/12]) oder nach rechtskräftigem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess (BAG NZA 16, 1144 [BAG 19.01.2016 - 2 AZR 449/15]), nicht jedoch, wenn ArbG Kündigungsschutzantrag vor Ablauf der Kündigungsfrist nach § 307 ZPO anerkennt (BAG NZA 18, 646). War der ArbN jedoch bei Kündigung an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert (§ 297; Rn 10), muss er dem ArbG Wiederherstellung seiner Leistungsfähigkeit bzw -bereitschaft in Form des § 295 anzeigen. Hierfür genügt Erhebung einer Kündigungsschutzklage (BAG NZA 16, 108 [BAG 24.06.2015 - 5 AZR 462/14]), anders bei Anfechtung eines Auflösungsvertrags (BAG NZA 06, 435 [BAG 07.12.2005 - 5 AZR 19/05]). Nach außerordentlicher Kündigung eines Dienstverhältnisses ist gleichfalls ein wörtliches Angebot erforderlich, ausreichend jedoch Widerspruch gegen Kündigung oder Erhebung einer Vergütungsklage (BAG NZA 06, 1094 [BAG 12.07.2006 - 5 AZR 277/06]).
c) Leistungsfähigkeit und -willigkeit des Dienstverpflichteten.
Rn 10
Der Dienstverpflichtete muss gem § 297 zur Erbringung seiner Leistung imstande, also leistungsfähig und -willig sein (BAG NZA 17, 1528 [BAG 28.06.2017 - 5 AZR 263/16]; 16, 1608, 688), andernfalls besteht Unmöglichkeit (§ 275), die Annahmeverzug ausschließt (BAG AP Nr 20 zu § 615; NZA 08, 1410 [BAG 27.08.2008 - 5 AZR 16/08]). Nicht leistungsfähig ist: ein arbeitsunfähig erkrankter Dienstverpflichteter (BAG NZA 10, 1119), ein Kraftfahrer ohne Fahrerlaubnis (BAG AP Nr 2 zu § 297), ein Mitarbeiter des BfV ohne entsprechende VS (BAG NZA 15, 1053 [BAG 27.05.2015 - 5 AZR 88/14]), ein ArbN, der aufgrund Gewissensentscheidung die Leistung nicht erbringen kann (BAG AP Nr 1 zu § 611), sofern ihm keine andere Aufgabe zugewiesen werden kann (BAG AP Nr 2 zu § 297), ein ArbN im Umfang der gesetzlichen Mindestpausen (BAG NZA 15, 442 [BAG 25.02.2015 - 1 AZR 642/13]), ein ArbN, ...