1. Zweck und Anwendungsbereich.
Rn 15
2 soll verhindern, dass der ArbN aus Annahmeverzug mehr erhält als bei ordnungsgemäßer Abwicklung des Vertrages (BAG NZA 91, 223 [BAG 06.09.1990 - 2 AZR 165/90]). 2 gilt für alle Dienstverhältnisse und für Kleinbetriebe (BVerfG NZA 10, 1004 [BVerfG 24.06.2010 - 1 BvL 5/10]), für Arbeitsverhältnisse mit Kündigungsschutz ist § 11 KSchG lex specialis und, anders als 2, nicht dispositiv (ErfK/Kiel § 11 KSchG Rz 1). ›Anrechnung‹ iSv 2 ist nicht Aufrechnung, sondern automatische Reduzierung des Anspruchs aus 1; eine besondere Erklärung des Dienstberechtigten ist daher nicht erforderlich (BAG NJW 04, 316 [BAG 24.09.2003 - 5 AZR 500/02]), Pfändungsgrenzen (§§ 850 ff ZPO) greifen nicht (MüKo/Henssler § 615 Rz 70). Bei einvernehmlicher Freistellung ist anderweitiger Verdienst nicht anzurechnen, wenn nicht vereinbart (BAG NZA 13, 207 [BAG 17.10.2012 - 10 AZR 809/11]), auch Zwischenverdienst nicht, wenn Zeitpunkt für anzurechnenden Urlaub nicht festgelegt ist (BAG BeckRS 13, 72234, Anm Lingemann ArbR 13, 520 [BAG 16.07.2013 - 9 AZR 50/12]).
2. Umfang der Anrechnung.
Rn 16
Auch ersparte Kosten für Fahrten, Berufskleidung etc sind anzurechnen (anders § 11 KSchG; str; vgl MüKo/Henssler § 615 Rz 72).
Rn 17
Anzurechnen ist anderweitiger Erwerb, bei böswilligem Unterlassen aufgrund hypothetischer Berechnung (BAG NZA 17, 988 [BAG 22.03.2017 - 5 AZR 337/16]), also die Einkünfte, für deren (mögliche) Erzielung der Wegfall der Dienstleistung kausal war (BAG NZA 91, 223 [BAG 06.09.1990 - 2 AZR 165/90]). Die Anrechnung erfolgt im Verhältnis der beim ArbG ausgefallenen Arbeitszeit zu der im neuen Dienstverhältnis geleisteten (BAG NZA 16, 687 [BAG 24.02.2016 - 5 AZR 425/15]). Ausgangspunkt ist die Bruttovergütung, soweit während des Annahmeverzugs erarbeitet, auch wenn erst später fällig (BAG NZA 06, 736 [BAG 22.11.2005 - 1 AZR 407/04] – Prinzip der Gesamtberechnung), abzgl für ihre Erzielung erforderliche Aufwendungen (BAG NZA 18, 1544 [BAG 02.10.2018 - 5 AZR 376/17] zu § 11 KSchG). 2 ist ggf analog anzuwenden auf Urlaubsanspruch des ArbN für die Zeit des Annahmeverzugs (BAG NJW 12, 2989 [BAG 21.02.2012 - 9 AZR 487/10], anders noch BAG NZA 91, 944 [BAG 28.02.1991 - 8 AZR 196/90]). Ggf Auskunftsanspruch des ArbG, auch zu Vermittlungsangeboten der Bundesagentur für Arbeit (BAG NZA 20, 1113 [BAG 27.05.2020 - 5 AZR 387/19]).
Rn 18
Öffentlich-rechtliche Leistungen sind anzurechnen (BAG NJW 06, 1452 [BAG 11.01.2006 - 5 AZR 125/05]); allerdings findet idR gem § 115 SGB X gesetzlicher Forderungsübergang auf den Leistungsträger statt, § 615 2 ist insoweit entbehrlich. Angerechnet werden Arbeitslosengeld (BAG NZA 07, 561 [BAG 07.02.2007 - 5 AZR 422/06]), Beiträge zur Sozialversicherung (BAG AP Nr 1 zu § 11 KSchG 1969; aA wohl BAG NZA 03, 1335), Altersruhegelder und Erwerbsunfähigkeitsrenten (LAG Köln NZA-RR 96, 286), nicht aber Berufsunfähigkeitsrenten (BAG NZA 03, 1335 [BAG 03.07.2003 - 2 AZR 487/02]). Soweit Vergütung teilweise wegen böswilligen Unterlassens (Rn 19 ff) nicht geschuldet ist, wird auch Bezug von Arbeitslosengeld nur anteilig angerechnet (BAG NJW 06, 1453).
3. Böswilliges Unterlassen.
Rn 19
Böswillig unterlassen iSv 2 (entspr § 11 Nr 2 KSchG, BAG NZA 17, 988; NJW 04, 316 [BAG 24.09.2003 - 5 AZR 500/02]) wird Zwischenverdienst, wenn der ArbN zumutbare Arbeit grundlos ablehnt, oder vorsätzlich verhindert, dass ihm zumutbare Arbeiten angeboten werden (BAG NZA 24, 408 [BAG 24.01.2024 - 5 AZR 331/22]; 21, 938; 20, 1113; 07, 561). Der ArbN muss Arbeitslosigkeit gem § 2 V SGB III bei der Agentur für Arbeit melden und Vermittlungsleistungen in Anspruch nehmen (BAG NZA 20, 1113 [BAG 27.05.2020 - 5 AZR 387/19]). Maßgeblich sind alle Umstände nach Treu und Glauben (BAG NZA 17, 988 [BAG 22.03.2017 - 5 AZR 337/16]; AP Nr 39 zu § 615), namentlich Vergütungsform, Arbeitszeit, Anfall von Überstunden, Art und Umfang von Sozialleistungen, Gefährlichkeit der Arbeit und Ort der Tätigkeit (BAG NJW 07, 2062 [BAG 07.02.2007 - 5 AZR 422/06]; Bayreuther NZA 03, 1365).
Rn 20
Beim bisherigen ArbG ist bei betriebs- oder personenbedingter Kündigung eine vorläufige Weiterbeschäftigung (Prozessarbeitsverhältnis, vgl BAG NZA 21, 1092 [BAG 20.05.2021 - 2 AZR 457/20]) regelmäßig zumutbar (anders bei Weiterbeschäftigungsurteil während des laufenden Kündigungsschutzprozesses, BAG NZA 22, 113 [BAG 08.09.2021 - 5 AZR 205/21]), bei verhaltensbedingter, namentlich außerordentlicher Kündigung je nach Art und Schwere der Vorwürfe nicht (BAG v 29.3.23 – 5 AZR 255/22, NZA 23, 894), es sei denn, der Kündigungssachverhalt ist unstr oder der ArbN hat einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt (BAG NJW 04, 316 [BAG 24.09.2003 - 5 AZR 500/02]). Auch die Ablehnung vertraglich nicht geschuldeter Arbeitsleistung in unstr bestehendem Arbeitsverhältnis kann böswillig sein (BAG NZA 12, 260), sogar Ablehnung einer Änderungskündigung statt Annahme unter Vorbehalt, § 2 KSchG (BAG DB 08, 67). Eine dauerhafte Modifikation des Arbeitsvertrages muss der ArbN allerdings nicht akzeptieren (BAG NZA 17, 988; 06, 314). Aufforderung des ArbG ...