I. Standard der Behandlung.
Rn 8
Der Behandelnde schuldet dem Patienten nach § 276 vertraglich wie deliktisch die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. Die Bestimmung dieses Standards, der neben der Art und Weise der Behandlung ua auch organisatorische und personelle Planungen umfasst, richtet sich weitgehend nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebietes (BGH NJW 87, 1479, 1480 [BGH 10.02.1987 - VI ZR 68/86]; Geiß/Greiner B. Rz 2 ff). Der Behandelnde hat diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt aus beruflicher Sicht seines Fachbereichs vorausgesetzt und erwartet werden (BGH NJW 95, 776, 777; BGHZ 144, 296; Dresd MedR 17, 808). In Umsetzung dieser Maßstäbe entfaltet nach II für die geschuldete Behandlung derjenige fachliche Standard und Sorgfaltsmaßstab Geltung, der im Zeitpunkt der Behandlung (BGH NJW 83, 2080, 2081; BGHZ 95, 63, 73; BGH NJW 21, 1536 Rz 13) für diejenige Behandlungs- oder Facharztgruppe besteht, der der Behandelnde zuzuordnen ist. Für (Fach–)Ärzte gelten danach andere Sorgfaltsanforderungen als für Heilpraktiker oder Hebammen. Letztere müssen dessen ungeachtet die Anforderungen an eine fachgemäße Behandlung kennen und beachten. Demgemäß verstoßen sie in gleicher Weise wie (Fach–)Ärzte gegen die gebotene Sorgfalt, wenn sie eine Therapie wählen, mit deren Handhabung, Eigenarten und Risiken sie sich zuvor nicht in erforderlichem Maße vertraut gemacht haben (BGHZ 113, 297, 302); obliegt einem Heilpraktiker die alleinige Behandlungsverantwortung, kann sich die von ihm geschuldete Sorgfalt derjenigen eines Facharztes nähern (LG München II BeckRS 23, 24873). Zur Bestimmung des Standards ist auf den jeweils anerkannten Erkenntnisstand der (medizinischen) Wissenschaft zurückzugreifen. Relevanz kommt ebenfalls den Richt- und Leitlinien sowie Stellungnahmen der wissenschaftlichen Fachgesellschaften zu (Frahm NJW 21, 216, 217; Geiß/Greiner B. Rz 9d; Rehborn GesR 13, 257, 259; zur Abgrenzung von Richt- und Leitlinien Taupitz AcP 211 (2011) 352, 361 ff), doch dürfen sie nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden (BGH NJW-RR 14, 1053 [BGH 15.04.2014 - VI ZR 382/12]; Kudlich/Neelmeier NJW 21, 1185, 1186). Sofern sich ein anerkannter Standard noch nicht gebildet hat, insbes bei Anwendung neuer Behandlungsmethoden oder bei der Vornahme von Heilversuchen mit neuen Medikamenten, erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung im Vergleich zu herkömmlichen, bereits zum medizinischen Standard gehörenden Therapien einen besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden oder zu vermutenden Nachteilen unter besonderer Berücksichtigung des Wohles des Patienten (BGHZ 168, 103, 105 f; 172, 1, 8); zur Geltung gelangt insoweit der Sorgfaltsmaßstab eines vorsichtigen Arztes (BGHZ 172, 254; Geiß/Greiner B. Rz 2b). Die Frage, welche Maßnahmen der Arzt aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in seinem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten in der jeweiligen Behandlungssituation ergreifen muss, hat der Tatrichter grds mithilfe eines Sachverständigen zu ermitteln (BGH NJW 21, 1536 [BGH 23.02.2021 - VI ZR 44/20] Rz 14).
II. Abweichende Vereinbarung.
Rn 9
Den Vertragsparteien steht es innerhalb des rechtlich Zulässigen frei, einen von dem anerkannten fachlichen Standard abweichenden Maßstab festzulegen. Privatautonomie und Dispositionsfreiheit werden auf diese Weise gewährleistet (Staud/Gutmann Rz 172 ff). Abweichungen können sich iRd Therapiefreiheit va bei Neulandverfahren anbieten (Olzen/Uzunovic JR 12, 447; Thole MedR 13, 145, 146), ebenso beim Off-Label-Use von Arzneimitteln (Erman/Rehborn/Gescher Rz 42a). Inwieweit derartige Vereinbarungen zulässig sind (Katzenmeier NJW 13, 817, 818), richtet sich nach den §§ 305 ff bzw §§ 134, 138, 242. Untersagt ist den Parteien im Zusammenhang mit Vereinbarungen über den Leistungsstandard etwa die vorformulierte Vereinbarung von Haftungsausschlüssen nach Maßgabe von § 309 Nr 7. Gleiches gilt für Vereinbarungen, die eine nicht dem medizinischen Standard entsprechende Behandlung zum Gegenstand haben, selbst wenn dies dem ausdrücklichen Wunsch des Patienten entspricht (Hamm MedR 17, 310 [OLG Hamm 26.04.2016 - 26 U 116/14]; krit Geier MedR 17, 293). Letzteres muss jedenfalls dann gelten, wenn es sich um ein medizinisch nicht begründbares Unterschreiten medizinischer Standards handelt (Prütting MedR 17, 531).
III. Rechtsfolgen/Beweislast.
Rn 10
Vergleichbar anderen Vertragsverhältnissen des Besonderen Schuldrechts enthalten die §§ 630a ff keine speziellen Haftungs- und Schadensersatznormen. Grds gelangen daher die Vorschriften des Allg Schuldrechts zur Anwendung (Wagner VersR 12, 789, 790f). Sofern der Behandelnde gg den geltenden oder vereinbarten Standard, bspw hinsichtlich der Diagnose oder Therapie, verstößt, führt dies zu einer Pflichtverletzung nach § 280 I, von deren Nachweis der Patient nach den allg Grundlagen der Beweislastverteilung nur iRv § 630h befreit ist.