Rn 2
Weil der Besteller die Abnahmefiktion gem § 640 II relativ leicht zerstören kann, indem er die Abnahme verweigert und mindestens einen Mangel bezeichnet, muss er dem Unternehmer gem I auf Verlangen Gelegenheit geben, den Grund für die Abnahmeverweigerung zu überprüfen. Dabei ist dem Gesetzgeber ein redaktionelles Missgeschick passiert. Denn während der Besteller gem § 640 II nur mindestens einen Mangel bezeichnen muss, um die Abnahmefiktion zu zerstören, soll die Obliegenheit des Bestellers, an einer Zustandsfeststellung teilzunehmen, nach dem Wortlaut von I 1 nur entstehen, wenn der Besteller die Abnahme unter Angabe von Mängeln verweigert hat. Die Divergenz ist unbeabsichtigt dadurch entstanden, dass der Gesetzgeber noch im ersten Regierungsentwurf auch für § 640 II vorgesehen hatte, dass der Besteller die Verweigerung der Abnahme unter Angabe von Mängeln erklären muss (vgl Begründung des Regierungsentwurfs vom 18.5.16, BTDrs 18/8486 S 12) und den Wortlaut erst im Verlaufe des Gesetzgebungsverfahrens angepasst hat. Er hat dabei versäumt, auch den Wortlaut des § 650g I anzupassen. Für die Anwendung der Vorschrift wird man gleichwohl davon ausgehen können, dass es auch für das Verlangen nach einer Zustandsfeststellung ausreicht, dass der Besteller die Abnahme unter Angabe mindestens eines Mangels verweigert hat (Leupertz/Preussner/Sienz/Hummel § 650g Rz 11).
Rn 3
Der Besteller muss auf Verlangen des Unternehmers an der gemeinsamen Feststellung des Zustands des Werks mitwirken. Darin liegt eine Obliegenheit des Bestellers (Gesetzesbegründung BTDrs 18/8486 S 60), deren Nichtbefolgung den Unternehmer gem II berechtigt, die Zustandsfeststellung alleine vorzunehmen, wenn der Besteller einem hierfür vereinbarten oder vom Unternehmer innerhalb angemessener Frist bestimmten Termin fernbleibt (ebenso D/L/O/P/S/Oberhauser, § 2 Rz 147).
Rn 4
Festgestellt wird der Zustand des Werks, wobei das Gesetz in I 2 lediglich vorgibt, dass die Feststellung mit der Angabe des Tages der Ausfertigung versehen werden und von beiden Vertragsparteien unterzeichnet werden muss. Daraus ergibt sich, dass es sich bei der Zustandsfeststellung um ein schriftliches Dokument handelt, dass von beiden Parteien ausgestellt wird. Eine bestimmte Form ist nicht vorgeschrieben, so dass auch ein elektronisch erstelltes und signiertes Dokument zulässig sein dürfte. Über den Inhalt des Feststellungsdokuments sagt das Gesetz nichts. Es wird sich idR um eine textliche Erfassung des Zustands handeln, die allerdings durch Fotografien, Videos und ggf auch durch Materialproben ergänzt werden kann. Eine Besichtigung des Bauwerks oder der Außenanlage wird der Protokollierung in aller Regel vorausgehen, ist aber nicht vorgeschrieben. Wenn die Parteien sich nicht über die Durchführung der Besichtigung oder den Inhalt der schriftlichen Zustandsfeststellung einigen können, liegt darin kein ›Nichterscheinen‹ iSd II. Vielmehr verweist der Gesetzgeber den Unternehmer in derartigen Fällen auf die Möglichkeit, ein selbstständiges Beweisverfahren einzuleiten (Gesetzesbegründung BTDrs 18/8486 S 61).
Rn 5
I erfordert keine Einigkeit der Vertragsparteien über die rechtliche Bewertung des festgestellten Zustands. Insbesondere die Beantwortung der Frage, ob festgestellte Beschaffenheiten des Bauwerks oder der Außenanlage einen Mangel darstellen und ob dieser Mangel wesentlich oder unwesentlich ist, gehört nicht zur Zustandsfeststellung iSd § 650g I, die auch im Übrigen die Abnahme oder deren Wirkungen nicht ersetzt. Unabhängig davon steht es den Parteien frei, im Protokoll die zwischen ihnen bestehenden Streitpunkte festzuhalten.