Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher
I. Regelungsgehalt.
Rn 42
Die Regelung in § 675 II, die vor der Änderung durch das Überweisungsgesetz im Jahr 1999 fast wortgleich in § 676 aF enthalten war, stellt klar, dass die Erteilung und Befolgung von Rat und Empfehlung im Grundsatz keine Haftung auslösen. Die Vorschrift selbst nennt drei Ausnahmen: Wird ein Rat oder eine Empfehlung auf vertraglicher Grundlage erteilt, kommt eine Haftung nach allgemeinen Regeln in Betracht. Ferner können sich Haftungsfolgen ergeben, falls Rat oder Empfehlung eine unerlaubte Handlung darstellen. Schließlich sind spezialgesetzliche Regelungen zu beachten, die über die Haftung nach den Normen des BGB hinausgehen (zB §§ 9 ff WpPG, §§ 97, 98 WpHG, § 306 KAGB).
Rn 43
Besondere Bedeutung erlangt die Klarstellung in § 675 II in erster Linie für die Fälle, in denen Rat oder Empfehlung unentgeltlich erteilt werden. Die Regelung erhöht die Anforderungen, im Einzelfall einen Rechtsbindungswillen anzunehmen. Gleichzeitig kommt mit der Klarstellung zum Ausdruck, dass Rat und Empfehlung allein für einen geschäftlichen Kontakt (§ 311 II Nr 3) nicht ausreichen. Im Grundsatz ist vielmehr von einer Gefälligkeit auszugehen. Systematisch wäre die Regelung bei § 662 besser aufgehoben gewesen, da bei vereinbartem Entgelt die Schwelle zum Vertrag regelmäßig überschritten ist. Neben Rat und Empfehlung wird die Regelung auch für Auskünfte herangezogen, was angesichts des deklaratorischen Charakters der Norm unbedenklich erscheint.
II. Anwendungsbereich.
Rn 44
Während eine Auskunft auf die Mitteilung bestimmter Tatsachen gerichtet ist, geht es bei einem Rat auch um die Darstellung und Bewertung der Tatschen und bei der Empfehlung darüber hinaus um einen Vorschlag, gerichtet auf ein bestimmtes Verhalten.
III. Ausnahmen.
1. Verantwortlichkeit für Auskunft, Rat und Empfehlung.
Rn 45
Die Verantwortlichkeit für Auskunft, Rat und Empfehlung kann sich aus speziellen Verträgen mit entspr Leistungsinhalt oder aus vertraglichen Nebenpflichten anderer Verträge (allgemein: §§ 241 II, 242; speziell: §§ 402, 666) ergeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein selbstständiger Auskunftsvertrag neben einen anderen Vertrag treten kann, wenn weitergehende Auskünfte oder Beratung geleistet wird (BGH NJW 97, 3227; 99, 1540; Köln VersR 05, 1396: Empfehlung einer Kapitalanlage neben einem bestehenden Beratungsvertrag). Nicht in den Anwendungsbereich der Regelung fällt der Handel mit marktgängigen Informationen (§§ 453, 433 bzw 327 ff). Ferner kommen vertragsähnliche Verbindungen als Schuldverhältnisse in Betracht (§ 311 II, III), die Haftungsfolgen auslösen. Spezielle gesetzliche Regelungen und unerlaubte Handlungen schließen den Kreis der Ausnahmen.
2. Spezielle Verträge.
Rn 46
Verträge, die eine Auskunft, einen Rat oder eine Empfehlung zum Gegenstand haben, können Dienst- oder Werkverträge (BGH NJW 99, 1540) sein; bei einer Geschäftsbesorgung findet § 675 I Anwendung. Ohne Gegenleistung (unentgeltlich) kommt ein Auftrag (§ 662) in Betracht. Bei einem auf Treu und Glauben gestützten Auskunftsbegehren muss der Anspruchsberechtigte zunächst alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternehmen, die Auskunft auf andere Weise zu erlangen. Eine vorrangig zu nutzende Informationsmöglichkeit ist regelmäßig dann gegeben, wenn ein unmittelbarer, nicht auf § 242 gestützter gesetzlicher oder vertraglicher Auskunftsanspruch, etwa aus §§ 675, 666 gegen eine andere Person oder Stelle, besteht (BGH NJW 18, 2629 [BGH 08.02.2018 - III ZR 65/17]).
3. Stillschweigender Vertrag.
Rn 47
Auf den Vertragsschluss finden die Regeln der Rechtsgeschäftslehre Anwendung, sodass der Vertrag auch konkludent geschlossen werden kann (BGHZ 140, 111). Die Entgeltfestlegung ist Indiz für die Rechtsbindung. Die Unentgeltlichkeit allein steht dem stillschweigenden Vertragsschluss nicht entgegen. Vor dem Hintergrund des § 675 II setzt ein stillschweigender Vertragsschluss aber voraus, dass die Gesamtumstände ergeben (BGH NJW 91, 32 [BGH 17.05.1990 - IX ZR 85/89]; 92, 2080 [BGH 13.02.1992 - III ZR 28/90]), dass die Parteien nach ihren Erklärungen die Auskunft (bzw Rat oder Empfehlung) tatsächlich zum Inhalt vertraglicher Pflichten gemacht haben (BGH NJW 86, 180 [BGH 17.09.1985 - VI ZR 73/84]; abgel für die Informationen eines Reisebüros nach der getroffenen Auswahlentscheidung, BGH NJW 06, 205).
Rn 48
Zur Beurteilung der Rechtsbindung wird von der Rspr insoweit auf zwei Kriterien abgestellt: Auf der Seite des Anfragenden sind der Grad der Bedeutung der Leistung und die erkennbar auf der Grundlage der Anfrage zu treffende Entscheidung zu berücksichtigen (BGHZ NJW 89, 2882 [BGH 27.06.1989 - XI ZR 52/88]; 97, 730 [BGH 03.12.1996 - XI ZR 255/95]). Auf der anderen Seite sind die besondere Sachkunde im Hinblick auf die Leistung und ein eigenes wirtschaftliches Interesse der Auskunftsperson zu beachten (BGH 100, 117). Die genannten Kriterien allein reichen für das Zustandekommen eines stillschweigend geschlossenen Auskunftsvertrags aber nicht aus (BGH NJW 86, 180 [BGH 17.09.1985 - VI ZR 73/84]; NJW 91, 352 [BGH 16.10.1990 - XI ZR 165/88]: Anlass der Auskunft).
Rn 49
Die Grundsätze wurden anhand von Bankdienstleistungen entwickelt (BGHZ 61, 1...