Prof. Dr. Oliver Fehrenbacher
Gesetzestext
Bezweckt die Geschäftsführung die Abwendung einer dem Geschäftsherrn drohenden dringenden Gefahr, so hat der Geschäftsführer nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.
Rn 1
Der Geschäftsführer hat, falls das Geschäft zur Abwendung einer drohenden dringenden Gefahr dient, nur grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz zu vertreten. Die Haftungsmilderung soll ermutigend für die Geschäftsführung in Notsituationen wirken und die Bereitschaft dazu fördern. Anwendung findet die Privilegierung allerdings nur im Verhältnis zwischen Geschäftsführer und Geschäftsherrn. Bei Ansprüchen Dritter ist § 680 nicht anwendbar.
Rn 2
Die Geschäftsführung dient zur Abwendung einer drohenden dringenden Gefahr, wenn ein Schaden für den Geschäftsherrn (Person bzw Vermögen) oder enge Angehörige (§ 844 II) unmittelbar bevorsteht. Nach hM genügt, dass der Geschäftsführer ohne Verschulden von einer solchen Situation ausgeht (Grüneberg/Retzlaff § 680 Rz 2; diff: Martinek/Theobald JuS 97, 612, 618; aA MüKo/Schäfer § 680 Rz 8). Ob die Gefahrabwendung tatsächlich gelingt, ist nicht relevant.
Rn 3
Der mildere Haftungsmaßstab gilt für die Ausführung einer berechtigten GoA (§ 280), die Übernahme einer unberechtigten GoA (§ 678, dazu BGHZ 43, 188) und erstreckt sich auch auf andere Anspruchsgrundlagen (BGH NJW 72, 475; zB § 823). Die Privilegierung ist ferner anwendbar, wenn es um eine Anspruchsminderung wegen Mitverschulden (§ 254) bei Ersatzansprüchen des Geschäftsführers geht (BGHZ 43, 188). Eine weitere Berücksichtigung der Gefahrenlage iRd Sorgfaltsanforderungen kommt nicht mehr in Betracht. Andere darüber hinausgehende Umstände sind zu berücksichtigen (BGH NJW 72, 475 [BGH 30.11.1971 - VI ZR 100/70]: Dringlichkeit, Zeitelement). Für professionelle Nothelfer (Notarzt, Feuerwehr) sollte der gemilderte Maßstab im Grundsatz zwar ebenfalls gelten (MüKo/Schäfer § 680 Rz 10 f.; aA Grüneberg/Retzlaff § 680 Rz 1), nicht aber, sofern Sonderregelungen eingreifen oder eine Vergütung für die Tätigkeit verlangt werden kann (etwa nach Vertrag oder § 683; BGH NJW 18, 2723 [BGH 14.06.2018 - III ZR 54/17]: keine Einschränkung bei der Brandbekämpfung), ggf sind erhöhte Anforderungen an die konkrete Sorgfalt zu stellen (dazu München NJW 06, 1883 [OLG München 06.04.2006 - 1 U 4142/05]; nicht grob fahrlässig, wenn eine Fahrt trotz Alkohols bei bestehender Lebensgefahr durchgeführt wird, Brandbg NJW-RR 21, 1034 [OLG Brandenburg 20.05.2021 - 12 W 16/20]). Der mildere Haftungsmaßstab gilt auch nicht für Sportlehrer bei pflichtwidrig unterlassenen Erste-Hilfe-Maßnahmen (BGH NJW 19, 1809 [BGH 04.04.2019 - III ZR 35/18], Pflicht zur Abwehr von Gesundheitsschäden; für Sporttrainer bei unterlassener Hilfeleistung, BGH NJW 21, 1818 [BGH 19.01.2021 - VI ZR 188/17]). Die Beweislast trägt der Geschäftsführer.