Gesetzestext
(1) Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Orte seinen Wohnsitz.
(2) Der Wohnsitz kann gleichzeitig an mehreren Orten bestehen.
(3) Der Wohnsitz wird aufgehoben, wenn die Niederlassung mit dem Willen aufgehoben wird, sie aufzugeben.
A. Normzweck und Bedeutung.
Rn 1
Die Regelung der §§ 7–11 enthält die grundlegenden Aspekte des Wohnsitzes (von natürlichen Personen). Demgegenüber haben juristische Personen einen Sitz (vgl § 17 I ZPO, beim Verein § 24 und bei der AG § 5 AktG). Der Wohnsitz ist ein sehr wichtiger örtlicher Anknüpfungspunkt und in ganz verschiedenen Rechtsbereichen und Normen von Bedeutung. Im BGB vgl die §§ 132 II, 269, 270, 773 I, 1409 II, 1558, 1786 I, 1944 III, 1954 III.
B. Begriff des Wohnsitzes und Abgrenzungen.
I. Der Begriff.
Rn 2
Der Wohnsitz ist zu verstehen als der räumliche Mittelpunkt des gesamten Lebens einer Person (RGZ 67, 191, 193; BayObLGZ 84, 289; 1993, 88), wobei nicht das konkrete Haus als Wohnsitz anzusehen ist, sondern der Ort iSe politischen Gemeinde. IdS wird allg der Begriff des Ortes in I, 2 ausgelegt. Der Hinweis auf den räumlichen Mittelpunkt kann allerdings nicht als zwingende Festlegung auf einen Ort verstanden werden, wie II zeigt (Wohnsitz an mehreren Orten).
II. Abgrenzungen.
Rn 3
Vom Begriff des Wohnsitzes ist zu unterscheiden der Wohnort (Ort einer Wohnung, selbst wenn ein Wohnsitz ausnahmsweise nicht besteht); der gewöhnliche oder ständige Aufenthalt (rein tatsächliches Verweilen einer Person von einer gewissen Dauer oder Regelmäßigkeit auch ohne Wohnsitzwille); der dienstliche Wohnsitz (vgl § 9); die gewerbliche Niederlassung (vorhandene Räume dienen einem bestimmten gewerblichen oder geschäftlichen Zweck) sowie der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer Person (vgl Art 3 EuInsVO für die internationale Zuständigkeit im Insolvenzrecht).
C. Begründung des Wohnsitzes (Abs 1).
I. Rechtsnatur.
Rn 4
Die Begründung des Wohnsitzes ist im Kern ein Realakt. Allerdings muss sie von einem Willen getragen werden, der nicht auf eine besondere Rechtsfolge ausgerichtet ist; daher wird die Wohnsitzbegründung nach hM zu Recht als rechtsgeschäftsähnliches Handeln bezeichnet (BGHZ 7, 104, 105).
II. Voraussetzungen.
Rn 5
Die Begründung des Wohnsitzes hat zwei Voraussetzungen. Zunächst muss eine Unterkunft in einem konkreten Aufenthaltsbereich eines Ortes (idR einer Gemeinde) vorliegen. Dies setzt nicht zwingend eine eigene Wohnung voraus, es genügt auch ein gemietetes Zimmer, ein Raum zur Untermiete oder ein ständiger Gasthausaufenthalt. Nicht ausreichend ist eine reine Adressenbegründung oder polizeiliche Anmeldung. Neben der tatsächlichen Unterkunft muss ein Wille zur Wohnsitzbegründung (Domizilwille) bestehen (e contrario aus III). Der Wille muss sich auf einen dauernden (ständigen) Aufenthalt beziehen. Daher genügt nicht eine Ferienwohnung oder ein Ferienhaus, der Aufenthalt iRd Wehrpflicht oder in einer Strafanstalt, der Aufenthalt an einem Studienort (BVerfG NJW 90, 2193 [BVerfG 22.06.1990 - 2 BvR 116/90]), in einem Internat oder in einer Krankenanstalt. Im Einzelfall kann dagegen der Arbeitsort einen Wohnsitz darstellen (zB für Hausangestellte mit Familienanschluss).
III. Stellvertretung.
Rn 6
Bei der Wohnsitzbegründung ist nach hM Stellvertretung möglich. Diese kann sich aus einer gesetzlichen Vertretung bei nicht voll Geschäftsfähigen ergeben. Möglich ist auch eine rechtsgeschäftliche Vertretung, zB durch einen Ehepartner bei Haft des anderen.
D. Mehrfacher Wohnsitz (Abs 2).
Rn 7
Gem II ist ein mehrfacher Wohnsitz ausdrücklich gesetzlich vorgesehen, dürfte aber eine echte Ausnahme sein. Denn es müssen zwei verschiedene räumliche Schwerpunkte und der jeweilige doppelte Domizilwille vorliegen. Dafür genügt nicht das eigene Ferienhaus neben der normalen Wohnung, auch nicht die Übernachtungsmöglichkeit am Arbeitsplatz oder die Studentenbude bei weiterhin bestehendem Wohnsitz außerhalb.
E. Aufhebung des Wohnsitzes (Abs 3).
I. Aufgabe des Wohnsitzes.
Rn 8
Voraussetzung einer Aufhebung des Wohnsitzes ist es, dass der räumliche Standort faktisch aufgehoben wird und diese Aufhebung mit dem Willen des Betroffenen einher geht. Hierfür genügt nicht die vorübergehende Abwesenheit, auch wenn sie längere Zeit dauern sollte. Auch die polizeiliche Abmeldung ist nicht ausschlaggebend, allenfalls ein Indiz für den Aufhebungswillen. Nicht zur Aufhebung des Wohnsitzes führt insb der Antritt einer Haftstrafe, der Beginn der Wehrpflicht oder einer Wehrübung, der zeitweilige Wechsel an einen Studienort oder in eine Internatsschule, die Aufnahme in eine Krankenanstalt sowie der zeitlich befristete Wechsel in ein Ferienquartier. Insgesamt ist die Aufhebung des Wohnsitzes wie auch die Wohnsitzbegründung kein Rechtsgeschäft, sondern eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung.
II. Wohnsitzlose Personen.
Rn 9
Mit der Aufgabe des Wohnsitzes muss nicht zwingend eine neue Wohnsitzbegründung verbunden sein. Soweit es an einer konkreten tatsächlichen Unterkunft iSe Wohnsitzbegründung oder am Domizilwillen fehlt, ist eine Person wohnsitzlos. Auch das G selbst geht ausdrücklich davon aus, dass Personen ohne Wohnsitz sein können (vgl § 16 ZPO). In solchen Fällen knüpft das G (im Falle eines Gerichtsstandes) an den Aufenthaltsort oder (falls ein solcher nicht bekannt ist) an den letzten bekannten Wohnsitz an...