Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 1
Ansprüche aus Spiel und Wette sind nicht einklagbar. Sie können nur freiwillig erfüllt werden (Volksmund: ›Ehrenschulden‹). Gesetzgeberisches Motiv ist der Schutz des Spielers vor existenzgefährdendem Spielverhalten (Ddorf WM 87, 767, 768; Hamm NJW-RR 97, 1007, 1008 [OLG Hamm 29.01.1997 - 31 U 145/96]). Die praktische Bedeutung des § 762 ist jedoch gering (Bahr Rz 534). Meist liegt entweder eine Erlaubnis vor (dann: § 763), oder es liegt wegen fehlender Erlaubnis nichtiges, strafbares Spiel vor (vgl Rn 7 f). Der Anwendungsbereich von § 762 ist damit im Kern beschränkt auf nicht öffentliches, nicht gewohnheitsmäßiges Glücksspiel oder Wette (Grüneberg/Sprau § 763 Rz 5; s aber auch zB Rn 12).
Rn 2
Nach der Rspr begründet die Spiel- oder Wettverbindlichkeit eine unvollkommene Verbindlichkeit bzw Naturalobligation (Hamm NJW-RR 97, 1007, 1008 [OLG Hamm 29.01.1997 - 31 U 145/96]; iE auch BGH NJW 80, 390, 391 [BGH 15.10.1979 - II ZR 144/78] und KG NJW 80, 2314, 2315 [KG Berlin 12.06.1980 - 20 U 599/80] zu nach § 764 aF noch als Spiel anzusehenden Differenzgeschäften). Nach aA stellt die Spiel- oder Wettschuld lediglich einen unwirksamen Vertrag (Erman/Müller, § 762 Rz 1: arg Wortlaut; MüKoBGB/Habersack § 762 Rz 3 mwN) oder einen Erwerbsgrund (Grüneberg/Grüneberg Einl v § 241 Rz 12) dar. Praktisch ist die dogmatische Einordnung jedoch nicht erheblich (Staud/Schönenberg-Wessel Vorbem zu § 762 ff Rz 3a): Nach I ist – wie bei der Heiratsvermittlung (§ 656 I 2) – die Rückforderung des gleichwohl Geleisteten ausgeschlossen (Frankf BeckRS 22, 128772, Rz 16).
Rn 3
II soll Umgehungsgeschäfte verhindern (BeckOKBGB/Janoschek § 762 Rz 10; Staud/Schönenberg-Wessel § 762 Rz 28). Die Durchsetzung eines Schuldanerkenntnisses einer Spiel- oder Wettschuld ist unzulässig.
Rn 4
Die Unklagbarkeit einer Spiel- oder Wettvereinbarung ist grds vAw zu berücksichtigen (RGZ 129, 134, 142; so auch BGH NJW 81, 1897 [BGH 16.03.1981 - II ZR 110/80] zu § 764 aF; Grüneberg/Sprau § 762 Rz 5a; MüKoBGB/Habersack § 762 Rz 18). Ist der Spiel- oder Wettcharakter eines Rechtsgeschäfts indes nicht äußerlich erkennbar, muss der Spieleinwand erhoben und bewiesen werden (Staud/Schönenberg-Wessel § 762 Rz 14).
Rn 5
Nur in Ausnahmefällen können dem Spiel- oder Wetteinwand seinerseits die Einwendungen aus § 242 oder § 826 entgegengehalten werden. So im Grundsatz BGHZ 139, 1, 11; NJW 91, 2705, 2706; im Einzelfall zugelassener Einwand: Frankf WM 81, 499, 500 (bei eklatanter Verletzung einer Aufklärungspflicht); LG Hamburg WM 86, 1052 (widersprüchliches Verhalten eines fach- und rechtskundigen Spekulanten); aA für § 242 MüKoBGB/Habersack § 762 Rz 18; BeckOKBGB/Janoschek § 762 Rz 6). Der Einwendungsausschluss kommt auch bei Spiel über 0137-Nummern (s Rn 8) in Betracht. Damit wird die Einordnung als Spiel oder Auslobung (vgl Gabriel/Barth VuR 06, 301; Ernst NJW 06, 186) unerheblich.
Rn 6
Der Spieleinwand aus § 762 kann nicht ggü einer Gewinnzusage erhoben werden (§ 661a; Kobl VersR 03, 377, 378).
Rn 7
§ 762 gilt nur bei wirksamem Spiel- oder Wettvertrag: Ist er nach §§ 134, 138 nichtig (zB wegen Verstoßes gegen §§ 263, 284 ff StGB: Falschspiel, unerlaubtes Glückspiel oder Verstoßes gegen § 4 IV GlüStV: Klenk GewArch 19, 222–227: zu ›Lootboxen‹; OVG Lüneburg 18.6.18 – 11 LA 237/16 – juris: zu Online-Cent-Auktionen, sowie van der Hoff/Hoffmann ZGS 11, 67: zu Countdown-Auktionen im Internet), richtet sich die Rückabwicklung nach den allgemeinen Regeln (insb §§ 812 ff). Die Rückforderungssperre in I 2 für Leistungen aus nicht verbotenem Spiel ist unanwendbar (BGHZ 37, 363, 366 f; NJW 06, 45, 46 u 08, 1942 unter I.3). Der Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht kann jedoch uU § 817 2 entgegenstehen (vgl BGH NJW aaO unter I.2. Bei Schneeballsystemen (zB Schenkkreis) ist § 817 2 unanwendbar nach dem Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion. Auch Ansprüche aus Delikt werden nur die Ausnahme sein (vgl Celle NJW 96, 2660, 2661 [OLG Celle 20.03.1996 - 13 U 146/95]). Ein sittenwidriges Rechtsgeschäft im Hydra-, Pyramiden- oder Schneeballsystem ist kein Spiel iSv § 762 (Köln NJW 06, 3288, 3289; arg BGH NJW 06, 45, 46; s.a. BGHSt 43, 270); Warenabsatz auf diesem Weg verstößt gegen § 16 II UWG (vgl Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 16 Rz 35; s.a. BGHZ 15, 356, 360 ff). Sittenwidrig ist auch das thailändische Share-Spiel (LG Karlsruhe NJW-RR 07, 200, Hilfsbegründung).
Rn 8
Ein Spiel- oder Wettvertrag, der unter Inanspruchnahme von wertneutralen Mehrwert-Telefondienstleistungen (zB Anrufe zu T-VoteCall-Verbindungen – 0137-Sondernummern) abgeschlossen wird, kann wettbewerbsrechtlich gegen § 3 I–III UWG iVm Anh Nr 17 u 20 (vgl § 4 Nr 5–6 UWG aF) und wegen mangelnder Erlaubnis gegen § 284 StGB verstoßen (vgl Hecker/Ruttig GRUR 05, 393, 394 ff); er kann damit nach § 134 nichtig sein (implizit Ddorf BeckRS 04, 11362 ›Bei Anruf Millionär‹; anders LG Berlin CR 05, 36, 37 f unter Hinweis auf BGH NJW 02, 361, 362 und die Wertneutralität des Vertrages über die Erbringung von Telefondienstleistungen: Jedenfalls...