Prof. Dr. Eckart Brödermann
Gesetzestext
(1) 1Durch Spiel oder durch Wette wird eine Verbindlichkeit nicht begründet. 2Das auf Grund des Spieles oder der Wette Geleistete kann nicht deshalb zurückgefordert werden, weil eine Verbindlichkeit nicht bestanden hat.
(2) Diese Vorschriften gelten auch für eine Vereinbarung, durch die der verlierende Teil zum Zwecke der Erfüllung einer Spiel- oder einer Wettschuld dem gewinnenden Teil gegenüber eine Verbindlichkeit eingeht, insbesondere für ein Schuldanerkenntnis.
A. Einführung: Dogmatik, Normzweck, Bedeutung, Internationales Privatrecht.
Rn 1
Ansprüche aus Spiel und Wette sind nicht einklagbar. Sie können nur freiwillig erfüllt werden (Volksmund: ›Ehrenschulden‹). Gesetzgeberisches Motiv ist der Schutz des Spielers vor existenzgefährdendem Spielverhalten (Ddorf WM 87, 767, 768; Hamm NJW-RR 97, 1007, 1008 [OLG Hamm 29.01.1997 - 31 U 145/96]). Die praktische Bedeutung des § 762 ist jedoch gering (Bahr Rz 534). Meist liegt entweder eine Erlaubnis vor (dann: § 763), oder es liegt wegen fehlender Erlaubnis nichtiges, strafbares Spiel vor (vgl Rn 7 f). Der Anwendungsbereich von § 762 ist damit im Kern beschränkt auf nicht öffentliches, nicht gewohnheitsmäßiges Glücksspiel oder Wette (Grüneberg/Sprau § 763 Rz 5; s aber auch zB Rn 12).
Rn 2
Nach der Rspr begründet die Spiel- oder Wettverbindlichkeit eine unvollkommene Verbindlichkeit bzw Naturalobligation (Hamm NJW-RR 97, 1007, 1008 [OLG Hamm 29.01.1997 - 31 U 145/96]; iE auch BGH NJW 80, 390, 391 [BGH 15.10.1979 - II ZR 144/78] und KG NJW 80, 2314, 2315 [KG Berlin 12.06.1980 - 20 U 599/80] zu nach § 764 aF noch als Spiel anzusehenden Differenzgeschäften). Nach aA stellt die Spiel- oder Wettschuld lediglich einen unwirksamen Vertrag (Erman/Müller, § 762 Rz 1: arg Wortlaut; MüKoBGB/Habersack § 762 Rz 3 mwN) oder einen Erwerbsgrund (Grüneberg/Grüneberg Einl v § 241 Rz 12) dar. Praktisch ist die dogmatische Einordnung jedoch nicht erheblich (Staud/Schönenberg-Wessel Vorbem zu § 762 ff Rz 3a): Nach I ist – wie bei der Heiratsvermittlung (§ 656 I 2) – die Rückforderung des gleichwohl Geleisteten ausgeschlossen (Frankf BeckRS 22, 128772, Rz 16).
Rn 3
II soll Umgehungsgeschäfte verhindern (BeckOKBGB/Janoschek § 762 Rz 10; Staud/Schönenberg-Wessel § 762 Rz 28). Die Durchsetzung eines Schuldanerkenntnisses einer Spiel- oder Wettschuld ist unzulässig.
Rn 4
Die Unklagbarkeit einer Spiel- oder Wettvereinbarung ist grds vAw zu berücksichtigen (RGZ 129, 134, 142; so auch BGH NJW 81, 1897 [BGH 16.03.1981 - II ZR 110/80] zu § 764 aF; Grüneberg/Sprau § 762 Rz 5a; MüKoBGB/Habersack § 762 Rz 18). Ist der Spiel- oder Wettcharakter eines Rechtsgeschäfts indes nicht äußerlich erkennbar, muss der Spieleinwand erhoben und bewiesen werden (Staud/Schönenberg-Wessel § 762 Rz 14).
Rn 5
Nur in Ausnahmefällen können dem Spiel- oder Wetteinwand seinerseits die Einwendungen aus § 242 oder § 826 entgegengehalten werden. So im Grundsatz BGHZ 139, 1, 11; NJW 91, 2705, 2706; im Einzelfall zugelassener Einwand: Frankf WM 81, 499, 500 (bei eklatanter Verletzung einer Aufklärungspflicht); LG Hamburg WM 86, 1052 (widersprüchliches Verhalten eines fach- und rechtskundigen Spekulanten); aA für § 242 MüKoBGB/Habersack § 762 Rz 18; BeckOKBGB/Janoschek § 762 Rz 6). Der Einwendungsausschluss kommt auch bei Spiel über 0137-Nummern (s Rn 8) in Betracht. Damit wird die Einordnung als Spiel oder Auslobung (vgl Gabriel/Barth VuR 06, 301; Ernst NJW 06, 186) unerheblich.
Rn 6
Der Spieleinwand aus § 762 kann nicht ggü einer Gewinnzusage erhoben werden (§ 661a; Kobl VersR 03, 377, 378).
Rn 7
§ 762 gilt nur bei wirksamem Spiel- oder Wettvertrag: Ist er nach §§ 134, 138 nichtig (zB wegen Verstoßes gegen §§ 263, 284 ff StGB: Falschspiel, unerlaubtes Glückspiel oder Verstoßes gegen § 4 IV GlüStV: Klenk GewArch 19, 222–227: zu ›Lootboxen‹; OVG Lüneburg 18.6.18 – 11 LA 237/16 – juris: zu Online-Cent-Auktionen, sowie van der Hoff/Hoffmann ZGS 11, 67: zu Countdown-Auktionen im Internet), richtet sich die Rückabwicklung nach den allgemeinen Regeln (insb §§ 812 ff). Die Rückforderungssperre in I 2 für Leistungen aus nicht verbotenem Spiel ist unanwendbar (BGHZ 37, 363, 366 f; NJW 06, 45, 46 u 08, 1942 unter I.3). Der Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht kann jedoch uU § 817 2 entgegenstehen (vgl BGH NJW aaO unter I.2. Bei Schneeballsystemen (zB Schenkkreis) ist § 817 2 unanwendbar nach dem Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion. Auch Ansprüche aus Delikt werden nur die Ausnahme sein (vgl Celle NJW 96, 2660, 2661 [OLG Celle 20.03.1996 - 13 U 146/95]). Ein sittenwidriges Rechtsgeschäft im Hydra-, Pyramiden- oder Schneeballsystem ist kein Spiel iSv § 762 (Köln NJW 06, 3288, 3289; arg BGH NJW 06, 45, 46; s.a. BGHSt 43, 270); Warenabsatz auf diesem Weg verstößt gegen § 16 II UWG (vgl Köhler/Bornkamm/Bornkamm § 16 Rz 35; s.a. BGHZ 15, 356, 360 ff). Sittenwidrig ist auch das thailändische Share-Spiel (LG Karlsruhe NJW-RR 07, 200, Hilfsbegründung).
Rn 8
Ein Spiel- oder Wettvertrag, der unter Inanspruchnahme von wertneutralen Mehrwert-Telefondienstleistungen (zB Anrufe zu T-VoteCall-Verbindungen – 0137-Sondernummern)...