Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 1
Der Abschluss eines Bürgschaftsvertrages zwischen dem Gläubiger und dem Bürgen begründet Rechte und Pflichten, deren Bedeutung und Tragweite sich erst durch eine Gesamtschau auf drei miteinander verknüpfte Rechtsverhältnisse erschließen: Bürge-Gläubiger/Gläubiger-Hauptschuldner/Hauptschuldner-Bürge. Bei der Nachbürgschaft (s Rn 94) und der Rückbürgschaft (s Rn 104) wird das Dreipersonenverhältnis um eine Person erweitert. Steht eine der (drei) Personen im Bürgschaftsumfeld ihrerseits zu weiteren Personen in einer besonderen Beziehung (zB als Gesellschafter, als Organ einer Aktiengesellschaft, als dessen Lebenspartner oder Verwandter, s Vor § 765 Rn 18 ff, 25) oder stehen eine oder mehrere der Personen kraft ihres Status unter dem Schutz oder Zwang besonderer gesetzlicher Rechte oder Pflichten (zB aus dem Verbraucherrecht, Insolvenzrecht, s Vor § 765 Rn 32 ff, 45 ff), wird die Anwendung des Bürgschaftsrechts noch komplexer. Umso wichtiger ist es, sich die vertragstypischen Grundpflichten zu vergegenwärtigen.
I. Bürge und Gläubiger.
Rn 2
Das Schuldverhältnis zwischen Bürgen und Gläubiger kommt durch Abschluss des Bürgschaftsvertrages zustande (§ 311 I). Er begründet eine selbstständige (vgl nur BGH NJW 06, 845, 846 [BGH 10.01.2006 - XI ZR 169/05]) und einseitige Verpflichtung des Bürgen, dem Gläubiger eines Dritten für die Erfüllung einer schuldrechtlichen Verbindlichkeit (jeglicher Art, Vor § 765 Rn 8) des Dritten einzustehen (Vor § 765 Rn 5). Trotz der Akzessorietät zum Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner (Vor § 765 Rn 10) bestimmt sich der Rechtscharakter der Bürgschaft nicht aus der Natur der Hauptschuld (BGHZ 139, 214, 217). Der Bürge begründet seine – subsidiäre (s Vor § 765 Rn 12) – Verpflichtung unabhängig (abstrakt) zu diesem Rechtsverhältnis (Vor § 765 Rn 6) und gerät zB in Verzug, wenn er nach Aufforderung untätig bleibt und deshalb schuldhaft nicht zahlt (BGH ZIP 11, 559, 560). Für den Gläubiger ergeben sich aus dem Bürgschaftsvertrag nur Nebenpflichten (s Rn 56 ff).
Rn 3
Die Parteien können im Vertrag die Pflichten des Bürgen innerhalb der Grenzen der guten Sitten (s Rn 21 ff) und des AGB-Rechts (§§ 305 ff) erweitern (Vertragsfreiheit). Sie können zB vorsehen (bei der Höchstbetragsbürgschaft nur begrenzt: Rn 90), dass die Bürgschaft auch Nebenforderungen (s zB BGHZ 104, 240, 242) und etwaige Ersatzforderungen erfasst: zB Rückforderungsansprüche aus § 812 wegen Unwirksamkeit des Darlehensvertrages (BGH NJW 87, 2076, 2077); Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung (BGHZ 153, 311, 318 bzw 320). Ob dies der Fall ist, ist ggf durch Auslegung des Bürgschaftsvertrages nach § 133, 157 zu ermitteln. Das Akzessorietätsprinzip (Vor § 765 Rn 10) streitet dabei stets gegen die Ausdehnung der Bürgschaftsverpflichtung auf eine Haftung für Ersatzforderungen jenseits der Hauptschuld. Ebenso können die Parteien individualvertraglich vereinbaren, dass der Bürge neben der Bürgschaft weitere Sicherungsmittel stellt. Formularvertraglich ist dies jedoch unangemessen iSv § 307 (s BGHZ 92, 295, 299f). Die Bürgschaft kann auch unter eine Bedingung gestellt werden (zB auflagenfreie Erfüllung des Hauptvertrags durch den Gläubiger, vgl BGH WM 03, 1948, 1951).
II. Gläubiger und Hauptschuldner.
Rn 4
Gläubiger und Hauptschuldner sind durch das die Hauptschuld begründende Rechtsverhältnis verbunden, das dem zu sichernden Anspruch zugrunde liegt. Grds ist kein Schuldner verpflichtet, seinem Gläubiger einen Bürgen zu stellen. Häufig machen (künftige) Gläubiger die Gewährung einer Leistung aber in einer Sicherungsabrede oder aufgrund gesetzlicher Regelung (zB § 650f) von der Stellung einer Sicherheit abhängig. In der Praxis wird der Sicherungsvereinbarung oft der Entwurf des Bürgschaftstextes beigefügt (vgl zB BGH NJW-RR 05, 458, 459 [BGH 09.12.2004 - VII ZR 265/03]). Eine Verpflichtung zur Sicherheitsleistung (§ 232) kann nach § 239 durch die selbstschuldnerische Bürgschaft eines tauglichen Bürgen erfüllt werden.
Rn 5
Entfällt der Sicherungszweck (zB bei verjährten Mängelansprüchen bei Berufung auf deren Verjährung, BGH NJW 15, 2961 [BGH 09.07.2015 - VII ZR 5/15] oder bei § 17 VIII Nr. 2 VOB/B nach 2 Jahren, abdingbar) oder ist die Sicherungsabrede unwirksam, kann der Hauptschuldner die Auflösung des Bürgschaftsvertrages und Rückgabe der Bürgschaftsurkunde verlangen (grds nur an den Bürgen: BGH NJW 89, 1482 [BGH 02.02.1989 - IX ZR 182/87]; Frankf BeckRS 12, 16599, es sei denn, vertraglich ist etwas anderes vereinbart, BGH NJW 09, 218 [BGH 09.10.2008 - VII ZR 227/07]: § 17 VIII VOB/B). Ohne besondere vertragliche Vereinbarung stellt die Rückgabeverpflichtung eine Holschuld dar (Celle BeckRS 10, 7920). Nimmt der Gläubiger den Bürgen abredewidrig in Anspruch, kann der Hauptschuldner Unterlassung und ggf Rückerstattung der vom Bürgen erhaltenen Zahlung (BGHZ 139, 325, 328; aA LG München I ZIP 10, 2088) oder Freistellung vom Aufwendungsersatzanspruch des Bürgen (s Rn 7) verlangen (BGHZ 152, 246, 254).
Rn 6
Der Gläubiger ist ggü dem Hauptschuldner nicht verpflichtet, den ...