Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 56
Den Gläubiger treffen keine Hauptpflichten (vgl Rn 2). Die einzige im Bürgschaftsrecht ausdrücklich geregelte Pflicht enthält § 776, nach der die Aufgabe von Sicherheiten nicht zu Lasten des Bürgen erfolgen kann (s § 776 Rn 1). Aus dieser Bestimmung lässt sich aber keine allg Sorgfaltspflicht des Gläubigers zur Wahrung der Bürgeninteressen herleiten (Mot II 678 ff; vgl zB BGH WM 63, 24, 25; 86, 11, 12). Gleichwohl unterliegt die Bürgschaft wie jedes deutsche Schuldverhältnis dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242; BGH WM 63, 24, 25; implizit NJW 96, 1274, 1275 [BGH 18.01.1996 - IX ZR 171/95]). Damit können den Gläubiger in allen Phasen der Abwicklung des Bürgschaftsvertrages Schutz- und Aufklärungspflichten bzw -obliegenheiten treffen – die dogmatische Unterscheidung ist meist unerheblich, s Rn 62 –, s zB § 776 Rn 3: keine willkürliche Aufgabe einer Sicherheit. Eine umfassende Freizeichnung des Gläubigers in AGB von den ihm obliegenden Sorgfaltspflichtverletzungen verstößt grds gegen §§ 307, 309 Nr. 7 (MüKoBGB/Habersack § 765 Rz 104).
1. Vorvertragliche Nebenpflichten.
Rn 57
Grds besteht keine allg Aufklärungspflicht des Gläubigers (BGHZ 106, 269, 272 f; WM 86, 11, 12; NJW 01, 3331, 3332). Er muss den Bürgen vor Vertragsabschluss nicht auf sein Risiko hinweisen (BGHZ 125, 206, 218). Dies gilt auch ggü einem ausländischen Bürgen (BGH NJW 97, 3230, 3231) sowie ggü einem Bürgen, der vorher bereits Kunde der kreditgebenden Bank war (Bambg WM 00, 1582, 1585). Etwas anderes gilt, wenn der Gläubiger beim Bürgen einen Irrtum über relevante Umstände hervorruft oder weiß, dass dem Bürgen ihm bekannte Tatsachen vom Fehlen jeglicher Kreditwürdigkeit des Hauptschuldners unbekannt sind (Brandbg, Beck RS 18, 11070 Rz 39 unter 2.a).
Rn 58
Macht der Gläubiger jedoch Angaben, müssen diese vollständig und wahrheitsgemäß sein (BGH NJW-RR 02, 1130). Überdies besteht eine Aufklärungspflicht, wenn der Gläubiger durch sein Verhalten erkennbar einen Irrtum des Bürgen über dessen erhöhtes Risiko veranlasst hat (BGH WM 66, 944, 945; NJW 97, 3230, 3231 [BGH 15.04.1997 - IX ZR 112/96]; 01, 3331, 3332 [BGH 12.07.2001 - IX ZR 360/00]) oder (arg §§ 311 II, 241 II) wenn es sich dem Gläubiger aufdrängen muss, dass der Bürge das Risiko offensichtlich falsch einschätzt (BGH WM 63, 24, 27; Hamm BB 82, 1512; MüKoBGB/Habersack § 765 Rz 97; Erman/Zetzsche § 765 Rz 45; aber offengelassen in: BGH NJW 96, 1274, 1275 [BGH 18.01.1996 - IX ZR 171/95]).
2. Nebenpflichten und Obliegenheiten des Gläubigers bei der Abwicklung des Bürgschaftsvertrags.
Rn 59
Der Gläubiger muss dem Bürgen auf Verlangen Auskunft über den Stand der Hauptschuld und die wirtschaftliche Situation des Hauptschuldners geben (MüKoBGB/Habersack § 765 Rz 95; BeckOKBGB/Rohe § 765 Rz 103). Nach Erfüllung der Bürgenschuld ist der Gläubiger nach § 371 analog verpflichtet, die Bürgschaftsurkunde an den Bürgen zurückzugeben (LG Kiel WM 84, 805).
Rn 60
Weitere Nebenpflichten bestehen grds nicht (Rn 56). Der Gläubiger muss den Bürgen zB grds nicht über Umstände aufklären, die das Bürgschaftsrisiko erhöhen, da er sich gerade durch die Bürgschaft vor dem Risiko schützen will, das in der Person des Hauptschuldners begründet ist (BGH WM 78, 924, 925). Der Gläubiger kann dem Hauptschuldner auch weiteren Kredit gewähren, ohne auf das Interesse des Bürgen Rücksicht nehmen zu müssen (BGH WM 71, 614, 615: anders nur bei echter Bindung des Bankengläubigers ggü dem Bürgen; München WM 00, 2298, 2300). Bei Eintritt der Fälligkeit der verbürgten Hauptschuld ist der Gläubiger idR nicht zu einer beschleunigten Rechtsverfolgung gegen den Hauptschuldner verpflichtet (MüKoBGB/Habersack § 765 Rz 102). BGH NJW 08, 2165 f [BGH 04.03.2008 - KZR 29/06]: Obliegenheit zur Prüfung der Bürgenadresse.
Rn 61
Bei der Abwicklung des Bürgschaftsvertrages darf sich der Gläubiger jedoch nicht rechtsmissbräuchlich verhalten. Bsp: (1.) Der Gläubiger zahlt trotz Warnung durch den Bürgen über die Kreditunwürdigkeit des Hauptschuldners die Darlehenssumme nur mit Blick auf die Bürgschaft aus (BGH WM 59, 1072, 1075); (2.) der Gläubiger veranlasst schuldhaft den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Hauptschuldners und vereitelt dadurch den Rückgriff des Bürgen (BGH NJW 04, 3782, 3783 [BGH 14.09.2004 - XI ZR 184/03]: durch Nicht-Einlösung eines Schecks trotz bestehenden Kontokorrentkredits; NJW 04, 3779, 3780f [BGH 06.07.2004 - XI ZR 254/02]); (3.) der Gläubiger veranlasst den Hauptschuldner, nicht zu leisten (BGH WM 66, 317, 318f), (4.) Gläubiger (Leasinggeber) kündigt den verbürgten Leasingvertrag trotz schwerwiegender Vertragsverletzung seitens des Leasingnehmers nicht (BGH NJW 95, 1886, 1888), (5.) Auszahlung von Folgedarlehen durch den Gläubiger trotz Kenntnis von der Kreditunwürdigkeit des Hauptschuldners (München NJW 76, 1096, 1097).
3. Rechtsfolgen der Verletzung von Nebenpflichten und Obliegenheiten.
Rn 62
Die Verletzung von Nebenpflichten und Obliegenheiten führt zum Verlust des Anspruchs aus § 765 I, wenn sich die Inanspruchnahme aufgrund der Pflichtverletzung als rechtsmissbräuchlich darstellt (s Rn 61). Dabei kann die Unterscheidung zwischen Nebenpflichten und Obliegenheiten (dazu § 241 Rn 28) idR dahinstehen (vgl zB BGH W...