Prof. Dr. Eckart Brödermann
I. Grundsatz: Weiter Anwendungsbereich.
1. Entstehung der Bürgschaft.
Rn 3
Das Schriftformerfordernis des § 766 1 erfasst nur die den Bürgen verpflichtenden Erklärungen, nicht die Annahmeerklärung des Gläubigers (BGH NJW 97, 2233 [BGH 06.05.1997 - IX ZR 136/96]; Erman/Zetzsche § 766 Rz 1).
Rn 4
Der Anwendungsbereich des Formerfordernisses wird von der Rspr weit gefasst. Es gilt zum Schutze des Bürgen (s Rn 1) nicht nur für die Bürgschaftserklärung selbst, sondern auch für: (1.) Bürgschaftsvorverträge (RGZ 76, 303, 304; BGH WM 1966, 139); (2.) – entgegen dem Wortlaut von § 167 II – die Vollmacht zur Erteilung einer Bürgschaft (BGHZ 132, 119, 125); (3.) insb die vom Bürgen erteilte Ausfüllungsermächtigung (Weisung) zur Vervollständigung einer Bürgschaftsblanketturkunde (BGHZ 132, 119, 128; 140, 167, 172; NJW 00, 1179, 1180; WM 03, 1563, 1564) oder die Abänderungsermächtigung (zB zur Anpassung der Person des Hauptschuldners, Staud/Stürner § 766 Rz 44); (4.) die nachträglich erteilte Genehmigung von (a) einer im Namen des Bürgen abgegebenen Bürgschaftserklärung (implizit MüKoBGB/Habersack § 766 Rz 22), (b) einer Abänderung in der Bürgschaftsurkunde oder (c) einer weisungswidrig ausgefüllten Blankettbürgschaft, bei der ein Vertrag weder über den eingesetzten Betrag noch in Höhe des absprachekonformen Betrags zustande kommt (BGH NJW 84, 798f [BGH 12.01.1984 - IX ZR 83/82]). Über die Zulässigkeit und Form der Genehmigung hat der BGH noch nicht entschieden (s BGH NJW 00, 1179, 1180 [BGH 16.12.1999 - IX ZR 36/98]); beides ist jedenfalls für die Fallgruppe (c) str: S einerseits Grüneberg/Sprau § 766 Rz 4: Genehmigung unzulässig; Fischer JuS 98, 205, 208 [BGH 29.02.1996 - IX ZR 153/95]: nur formgerechte Neuvornahme nach § 141 I möglich; andererseits Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Füller Rz IV 499-IV 502; Keim NJW 96, 2774; BeckOGK/Madaus § 766 Rz 16.2; Staud/Stürner § 766 Rz 45: Genehmigung nach § 184 I). Sachgerecht ist es, die Genehmigung zuzulassen, zur Durchsetzung der Warnfunktion aber wie bei der Vollmacht (oben 2) – entgegen dem Wortlaut von § 182 II (MüKoBGB/Habersack § 766 Rz 22 sowie BeckOGK/Madaus § 766 Rz 16.2: teleologische Reduktion) – die Genehmigung der formunwirksamen Bürgschaft § 766 zu unterstellen (so Erman/Zetzsche § 766 Rz 2: jedenfalls für Fallgruppe (a)). Ohne schriftliche Genehmigung steht dem Erklärungsempfänger (zB Bank) bei Gutgläubigkeit allenfalls ein Anspruch aus dem vom ›Bürgen‹ durch Zeichnung der Blanketturkunde gesetztem Rechtsschein (arg § 172 II, BGHZ 132, 119, 127 f; krit Keim NJW 96, 2774, 2775f) und kein im Urkundsprozess durchsetzbarer Anspruch aus Bürgschaft zu; (d) die Gestattung zum Selbstkontrahieren nach § 181 (BGHZ 132, 119, 125; Grüneberg/Sprau § 766 Rz 2).
2. Änderung der Bürgschaft, Nebenverträge, Auftrags- und Geschäftsbesorgungsvertrag.
Rn 5
Abänderungen zum Vorteil des Bürgen sind formfrei möglich (BGH NJW 94, 1656, 1657 [BGH 17.03.1994 - IX ZR 102/93]), wenn die Bürgschaftsurkunde nicht ausnahmsweise eine qualifizierte Schriftformklausel enthält (s § 127 Rn 2): Eine einfache Schriftformklausel steht einer formfreien (mündlichen oder konkludenten) Abänderung des Bürgschaftsvertrages zu Gunsten des Bürgen nicht entgegen (BGH WM 55, 375, 376).
Rn 6
Nebenabreden und Vertragsergänzungen zum Nachteil des nicht im kaufmännischen Verkehr handelnden Bürgen unterliegen der Formvorschrift aus § 766 (BGH WM 97, 625, 627 [BGH 30.01.1997 - IX ZR 133/96]; München IBR 19, 3388). Nur dann setzen sie sich auch nach § 305b ggü AGB durch (Ulmer/Brandner/Hensen/Ulmer § 305b BGB Rz 7; MüKoBGB/Basedow § 305b Rz 5).
Rn 7
Für den Abschluss eines Auftrags- bzw Geschäftsbesorgungsvertrages zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner (§ 765 Rn 7) ist zu unterscheiden: Der Gesetzgeber hat für solche Verträge keine Form vorgesehen. Deshalb wird von der Rspr bisher keine Form verlangt: RGZ 59, 10, 14; Köln WM 95, 1224, 1227; s.a. Jauernig/Stadler § 766 Rz 1; Staud/Stürner § 766 Rz 3. Für den kaufmännischen Verkehr ist dem zuzustimmen (vgl Rn 8). Hat sich jedoch jemand im nicht kaufmännischen Verkehr zur Geschäftsbesorgung durch Abgabe einer Bürgschaft verpflichtet, ist die Konstellation mit dem die Erwerbspflicht für ein Grundstück begründenden Geschäftsbesorgungsvertrag vergleichbar, der der gleichen Form wie der Grundstückserwerb selbst bedarf (s § 311b Rn 7). Der von § 766 angestrebte Schutz des Bürgen streitet dementspr für seine Anwendung und die einhergehende Begrenzung der Privatautonomie: Erman/Zetzsche § 766 Rz 2; vgl auch Medicus/Lorenz SchuldR I Rz 910; Reinicke/Tiedtke Rz 62; Lorenz JuS 99, 1145, 1147 f.
II. Nicht unter § 766 fallende Rechtsgeschäfte.
Rn 8
Nach § 350 HGB gilt die Formvorschrift in § 766 – nebst deren für sie entwickelten Auslegungskriterien (s Rn 11), BGH NJW 67, 823 [BGH 25.01.1967 - VIII ZR 173/64]; 93, 724, 725 [BGH 03.12.1992 - IX ZR 29/92]; Köln WM 92, 138 [OLG Köln 07.12.1990 - 20 U 24/90] – nicht für die Bürgschaft eines Kaufmanns (wenn sie für ihn Handelsgeschäft ist, SachsAnh 2 U 49/05 v 22.12.05: Gesellschafterbürgschaft kein Handelsgeschäft) oder für die im Betrieb eines Handelsgewerbes abgegebene Bürgschaft. Dies gilt auch für Bürgschaften von Scheinkaufleuten (H...