Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 5
§ 768 betrifft die Durchsetzung der Forderung durch den Gläubiger gegen den Bürgen. Unter den Begriff der Einreden iSd § 768 I 1 fallen daher nicht nur solche im traditionellen prozessualen Sinne, sondern sämtliche Einreden des Hauptschuldners (BGHZ 107, 210, 214), also sämtliche dem Hauptschuldner ggü der Hauptforderung zustehenden dilatorischen (vorübergehenden) und alle peremptorischen (dauernden) Einwendungen. Dabei bindet den Bürgen kein Titel des Gläubigers gegen den Hauptschuldner (s Vor § 765 Rn 41 für Urt; BGH WM 04, 1648, 1651 für bestandskräftigen Steuerbescheid).
I. Grundfälle.
Rn 6
Zu den Einreden iSd § 768 I 1 gehört insb die Verjährung der Hauptforderung (s zB BGH BB 07, 2591 [BGH 18.09.2007 - XI ZR 447/06]; Ausnahmen: (1.) uU bei Gewährleistungsbürgschaften, s § 765 Rn 85, u (2.) bei atypischer Vertragsgestaltung: BGH NJW 01, 2327, 2329f [BGH 05.04.2001 - IX ZR 276/98]). Der Bürge kann sich nach der Rspr auch dann auf die Verjährung berufen, wenn diese erst nach Erhebung der Bürgschaftsklage eintritt und der Bürge nach § 773 I Nr 1 selbstschuldnerisch haftet (so BGHZ 76, 222, 226: dem Gläubiger ist zuzumuten, erforderlichenfalls zwei Klagen zu erheben; 139, 214, 216 f; kritisch zB Schmolke WM 13, 148 ff mwN). Dies gilt auch, wenn die Hauptschuldnerin zuvor durch Vermögensverfall untergegangen – dazu § 767 Rn 10 – ist (BGHZ 153, 337, 339 ff; krit Peters NJW 04, 1430f). Tritt die Verjährung erst nach rechtskräftiger Verurteilung des Bürgen ein, kann dieser eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erheben (BGH NJW 99, 278, 279 [BGH 05.11.1998 - IX ZR 48/98]). In diesen Fällen muss der Gläubiger ggü dem Hauptschuldner eine die Verjährung unterbrechende Maßnahme iSd § 204 I ergreifen. Weder § 216 I noch § 215 gelten entspr.
Rn 7
Außerdem gehören zu den Einreden iSd § 768: die noch ausstehende Fälligkeit (Staud/Stürner § 768 Rz 15); die Nichterfüllung des Hauptvertrages nach § 320 (Staud/Stürner § 768 Rz 10); das Zurückbehaltungsrecht nach § 273 (BGHZ 24, 97, 99; WM 65, 578, 579); der Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 I (Grüneberg/Sprau § 768 Rz 6); die Stundung (RGZ 153, 123, 125; BGH NJW 01, 2327, 2329); der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (Köln ZIP 98, 150, 151; LG Hamburg BeckRS 16, 15295); die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung (BGHZ 107, 210, 214; ZIP 01, 833, 835 f; aA LG München I ZIP 09, 1902); die Einrede der unerlaubten Handlung nach § 853 (wobei dem Bürgen diese Einrede auch zusteht, wenn der Hauptschuldner die Anfechtungsfrist des § 124 versäumt hat, BGHZ 95, 350, 357); der Einwand der Vertragsanpassung aus § 311 II, III (BGH NJW 99, 2032: zu cic); sowie der auf dem Recht des Mieters aus § 551 I gegründete Einwand (BGHZ 107, 210, 214).
Rn 8
Hat der Gläubiger dem Bürgen den Streit verkündet (vgl Vor § 765 Rn 40), können dem Bürgen aufgrund der Interventionswirkung nach § 68 ZPO Einreden nach §§ 768, 770 verwehrt sein (BGH NJW 69, 1480, 1481 [BGH 21.05.1969 - VIII ZR 141/67]).
II. Sonderfälle.
Rn 9
Besondere Erscheinungsformen der Bürgschaft bringen eigene Einreden mit sich: (1.) Der Bürge einer Bürgschaft auf erstes Anfordern kann nach § 768 ggü dem Gläubiger einwenden, zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner sei nur die Stellung einer normalen Bürgschaft vereinbart worden (§ 765 Rn 80). (2.) Es ist eine Auslegungsfrage, ob ein pactum de non petendo zwischen Gläubiger und Hauptschuldner auch zu Gunsten des selbstschuldnerischen Bürgen wirkt (Hamm WM 95, 153, 154 f [OLG Hamm 20.06.1994 - 11 W 80/93]; Grüneberg/Sprau § 768 Rz 6). Leistet der Bürge in Unkenntnis der Einrede, so kann er die Leistung – außer bei der Einrede der Verjährung (§§ 813 I 2, 214 II) – nach § 813 I 1 zurückfordern (BGH BeckRS 17, 134133 Rz 15). (3.) Für Bürgschaften auf erstes Anfordern ist § 214 II nicht anwendbar (Oldbg, BeckRS 18, 3675 Rz 19).
Rn 10
Ungeklärt ist, ob dem Bürgen für eine Kapital ersetzende Hauptverbindlichkeit ggü dem Gläubiger nach § 768 I 1 die Einrede des Kapitalersatzes der Hauptschuld zusteht (offengelassen bei BGH (IX. ZS) NJW 96, 1341, 1342; dagegen: K Schmidt ZIP 81, 689, 696). Die Einrede ist jedenfalls dann abgeschnitten, wenn der Bürge – etwa der Gesellschafterbürge (s Vor § 765 Rn 22) – die finanzielle Krise bei Abgabe der Bürgschaft kannte (BGH NJW 96, 1341, 1342 [BGH 15.02.1996 - IX ZR 245/94]). Wie bei der Wertung zum Fortbestand der Bürgschaft bei Untergang des Hauptschuldners wegen Vermögenslosigkeit (s § 767 Rn 10) geht der Sicherungszweck der Bürgschaft dem Dogma der Akzessorietät vor (s.a. BGH WM 08, 1350, 1352).