Prof. Dr. Eckart Brödermann
1. Überblick und Gemeinsamkeiten von Abs 1 Nr 3 und 4 (Zeitpunkt).
Rn 13
Vorbehaltlich der Beschränkung durch II (s Rn 19) knüpft das Gesetz in § 773 I Nr 3, 4 ferner eine primäre – aber weiterhin akzessorische (vgl o Rn 3) – Bürgenhaftung (unter Ausschluss der Einrede der Vorausklage aus § 771) an bestimmte (unzureichende) Vermögensverhältnisse in der Person des Hauptschuldners. Dabei setzt Nr 3 formal an die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an; Nr 4 verlangt eine materielle, auf den Einzelfall bezogene Prognose über Aussichten der Vollstreckung.
Rn 14
Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Inanspruchnahme des Bürgen bzw – bei Klagerhebung des Gläubigers gegen den Bürgen – der Abschluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung (s für Nr 3: BeckOKBGB/Rohe § 773 Rz 4; Staud/Stürner § 773 Rz 7; RGRK/Mormann § 773 Rz 4; Grüneberg/Sprau § 773 Rz 2; s für Nr 4: Staud/Stürner § 773 Rz 8; MüKoBGB/Habersack § 773 Rz 8: Abstellung auf Klagerhebung). Erholt sich der Hauptschuldner während des Verfahrens, kann die Einrede der Vorausklage bis zum Abschluss der Berufungsinstanz wieder geltend gemacht werden (RG Recht 1907 Nr 3493: zu Nr 4). Bei der Vollstreckungsgegenklage kommt es dementspr nach § 767 II ZPO auf etwaige Änderungen in den Vermögensverhältnissen ab Schluss der mündlichen Verhandlung an (Staud/Stürner § 773 Rz 7).
2. Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners (Abs 1 Nr 3).
Rn 15
§ 773 I Nr 3 setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners durch Eröffnungsbeschluss (§§ 11 ff, 27 InsO) voraus. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt: (1.) während des Insolvenzantragsverfahrens (s.u. Rn 17); und (2.) bei Ablehnung der Eröffnung mangels Masse (s.u. Rn 17). Wird der Eröffnungsbeschluss aufgrund sofortiger Beschwerde nach §§ 34 II, III InsO aufgehoben, ist die Einrede – vgl Rn 14 (zum Zeitpunkt) – wieder zulässig (Soergel/Gröschler § 773 Rz 6; RGRK/Mormann § 773 Rz 4; Jauernig/Stadler § 773 Rz 4).
Rn 16
Bei der Beendigung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Hauptschuldners (s Vor § 765 Rn 45) wird entspr dem Normzweck von § 773 I Nr 3 zu unterscheiden sein: (1.) In den Extremfällen der Aufhebung der Insolvenz nach § 213 InsO nach Befriedigung und mit Zustimmung der Gläubiger (in dem dann freilich eine Bürgenhaftung kaum noch denkbar ist; vgl aber Köln DB 83, 104, 105; RGRK/Mormann § 773 Rz 4; Staud/Stürner § 773 Rz 7 aE) oder der Beendigung nach Verteilung eines Überschusses (§ 199) muss die Einrede der Vorausklage wieder aufleben, weil der Insolvenzgrund entfallen ist. (2.) Bei einer Restschuldbefreiung des Hauptschuldners muss hingegen das Insolvenzverfahren im Verhältnis zum Bürgen noch als ›eröffnet‹ iSv 773 I Nr 3 gelten, weil es durch die insolvenzrechtliche Haftungsanordnung in § 301 II 1 InsO noch nachwirkt. (3.) Bei einer Beendigung des Insolvenzverfahrens aus anderem Grund – insb mangels Masse (§ 207 InsO) oder im Regelfall der Schlussverteilung (§ 200) – erscheint es vom Normzweck des § 773 I Nr 3 sachgerecht, den automatischen Ausschluss der Einrede der Vorausklage nicht fortgelten zu lassen (so aber Köln DB 83, 104, 105; RGRK/Mormann § 773 Rz 4; Staud/Stürner § 773 Rz 7; Soergel/Gröschler § 773 Rz 6; Grüneberg/Sprau § 773 Rz 2), sondern stattdessen das Insolvenzverfahren bei der Einzelfall bezogenen Prognose nach Nr 4 zu berücksichtigen (Erman/Zetzsche § 773 Rz 8; MüKoBGB/Habersack § 773 Rz 9; BeckOKBGB/Rohe § 773 Rz 4; Jauernig/Stadler § 773 Rz 4).
3. Mangelnde Erfolgsaussichten einer Zwangsvollstreckung gegen den Hauptschuldner (Abs 1 Nr 4).
Rn 17
§ 773 I Nr 4 ermöglicht dem Gläubiger den direkten Zugriff auf den Bürgen (vgl Rn 13) bei fehlender Aussicht, durch Vollstreckung in das Vermögen des Hauptschuldners eine vollständige Befriedigung seiner Forderung zu erlangen (Prognose voraussichtlicher Erfolglosigkeit). Die Norm will zwecklose Vollstreckungsversuche vermeiden (Mot II 671). Ist zu erwarten, dass der Gläubiger nur mit der Befriedigung eines Teils seiner Forderung rechnen kann, ist str, inwieweit § 773 I Nr 4 dem Gläubiger zur Seite steht und zum Ausschluss der Einrede der Vorausklage führt: ZT soll § 773 I Nr 4 unanwendbar sein und der Gläubiger sich zunächst an den Hauptschuldner halten müssen (arg RGZ 22, 44, 48; Soergel/Gröschler § 773 Rz 8); zT soll § 773 I Nr 4 nur insoweit anzuwenden sein, als die Zwangvollstreckung nicht Erfolg versprechend ist (Staud/Stürner § 773 Rz 8; BeckOGK/Madaus § 773 Rz 14; s.a. MüKoBGB/Habersack § 773 Rz 9: wenn die Vorausvollstreckung wegen des zu erwartenden geringen Erfolgs nicht zumutbar ist). Nach dem Normzweck (Gläubigerhilfe bei mangelnder Aussicht auf Befriedigung) erscheint es sachgerecht, § 773 I Nr 4 jedenfalls dann anzuwenden, wenn die Befriedigung durch Zwangsvollstreckung überwiegend nicht Erfolg versprechend ist: Denn der Bürge trägt das wirtschaftliche Risiko; er kann ggf nach § 775 Befreiung vom Hauptschuldner begehren (führt dieser Anspruch voraussichtlich ins Leere, ist auch anzunehmen, dass die Vollstreckung des Gläubigers erfolglos bleiben wird).
Rn 18
Für die Prognose sind alle erheblichen Umstände heranzuziehen (vgl Ermann/Zetzsche § 773 Rz 8). Erheblich sind: (1.) frühere vergebliche Vollstreckungsversuche Dritter...