Prof. Dr. Eckart Brödermann
I. Sicherheits- und Vorzugsrechte, Recht gegen einen Mitbürgen (§ 776 S 1).
1. Erfasste Rechte.
Rn 5
Die Regelung in § 776 1 erfasst neben den dort genannten Sicherheiten: (1.) die Aufgabe aller akzessorischen Sicherungs- und Vorzugsrechte, die nach §§ 774, 412, 401 mit der Hauptforderung auf den Bürgen übergehen: s § 774 Rn 14, sowie (2.) die Aufgabe aller selbstständigen Sicherungsrechte (zB Sicherungsgrundschulden, Sicherungseigentum oder Eigentumsvorbehalte), deren Übertragung der Bürge nach §§ 412, 401 verlangen kann (s § 774 Rn 14).
Rn 6
In entspr Anwendung von § 776 wird der Bürge auch insoweit frei, als der Verwertungserlös von Sicherungsgut, den der Gläubiger aufgrund einer insolvenzrechtlichen Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter nach § 168 III InsO erzielt, insolvenzrechtlich nicht auf die Hauptforderung angerechnet wird (BGH NJW 06, 228, 230). Die Vereinbarung schneidet dem Bürgen die Möglichkeit der eigenen Befriedigung aus dem Sicherungsgut nach §§ 774, 412, 401 ab. Durch ein solch nachträgliches Rechtsgeschäft kann das Haftungsrisiko des Bürgen nicht zu seinem Nachteil verändert werden (BGH aaO 229; krit Foerste NZI 06, 275).
2. Nicht erfasste Rechte.
Rn 7
Nicht unter § 776 1 fallen zB: (1.) das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 (Staud/Stürner § 776 Rz 8), (2.) die Garantie (BeckOKBGB/Rohe § 776 Rz 5); (3.) der Anspruch des Bauunternehmers auf Bestellung einer Sicherungshypothek aus § 650e bzw die Rechte aus § 650 f (Breslau Recht 1902 Nr 2673; Staud/Stürner § 776 Rz 8); (4.) die Entlassung eines Gesamtschuldners aus seiner Verbindlichkeit (RG JW 37, 1410; KG OLGE 25, 20, 22); (5.) die Aufgabe von Rechten aus einem erfüllungshalber gegebenen Wechsel (Breslau Recht 1902 Nr 2673); (6.) die Beendigung der Vollkaskoversicherung durch den Gläubiger einer verbürgten Leasingforderung (Köln WM 95, 1965 [OLG Köln 07.02.1995 - 22 U 246/94]); (7.) die Unterlassung der Aufrechnung des Gläubigers mit einer nicht verbürgten Gegenforderung gegen einen Anspruch des Hauptschuldners (BGH NJW 84, 2455, 2456).
II. ›Aufgabe‹.
Rn 8
Die ›Aufgabe‹ einer Sicherheit liegt vor, wenn bei wirtschaftlicher Betrachtung (Köln NJW 90, 3214f) ihre Verwertungsmöglichkeit durch vorsätzliches und aktives Handeln des Gläubigers (BGH WM 60, 51; Köln NJW 90, 3214, 3215; Erman/Zetzsche § 776 Rz 6) ganz oder teilweise (Erman/Zetzsche § 776 Rz 7) tatsächlich (zB durch Zerstörung, Staud/Stürner § 776 Rz 11) oder rechtlich beseitigt wird: zB durch (1.) Rangverschlechterung durch Vorrangeinräumung (Köln NJW 90, 3214f) bzw Rangrücktritt (Staud/Stürner § 776 Rz 11); (2.) Rückübertragung des Sicherungseigentums (BGH WM 60, 371, 372; Staud/Stürner § 776 Rz 11) oder Übertragung auf einen Dritten (BGH NJW 13, 2508, 2509 [BGH 04.06.2013 - XI ZR 505/11]); (3.) Verzicht auf eine Verwendungsmöglichkeit oder bewusste Beseitigung des wirtschaftlichen Werts (BGH NJW 99, 3195, 3197 [BGH 15.07.1999 - IX ZR 243/98]: Nicht ausreichend ist die Hinnahme einer Unterdeckung), (4.) Verrechnung des Verwertungserlöses auf eine von der Bürgschaft nicht erfasste Verpflichtung des Hauptschuldners (BGH WM 60, 371, 372). § 776 setzt weder ein Verschulden noch eine Benachteiligungsabsicht des Gläubigers voraus (Köln NJW 90, 3214, 3215 [OLG Köln 22.05.1990 - 22 U 150/88]).
Rn 9
Keine ›Aufgabe‹ liegt in: (1.) fahrlässigem Verlust einer Sicherheit (BGH WM 60, 51; NJW 66, 2009: verzögerte oder ungünstige Verwertung); (2.) rein passivem Verhalten (BGH NJW 66, 2009 [BGH 22.06.1966 - VIII ZR 50/66]; 99, 3195, 3197 [BGH 15.07.1999 - IX ZR 243/98]; Staud/Stürner § 776 Rz 11 f; aA MüKoBGB/Habersack § 776 Rz 8); (3.) Unterlassen der Verteidigung eines Sicherungsrechts (RGZ 65, 396, 397); (4.) Handeln aufgrund staatlichen Zwangs (Erman/Zetzsche § 776 Rz 6), zB wenn der Gläubiger eine Sicherheit im Insolvenzverfahren des Hauptschuldners verwertet und sich die dem Bürgen zukommende Quote aus dem Verwertungserlös aufgrund der Zahlung von Feststellungskosten nach § 170 II InsO verringert: den Bürgen hätten diese Kosten bei einer Verwertung in gleicher Weise getroffen (Vollkommer/Heinemann JZ 00, 1163, 1166 [BGH 02.03.2000 - IX ZR 328/98]).