Prof. Dr. Eckart Brödermann
I. Zeitbestimmung, Auslegung: Abgrenzung zur gegenständlich beschränkten Bürgschaft.
Rn 6
Eine Zeitbürgschaft ist nicht bereits dann vereinbart, wenn die Hauptschuld an einem bestimmten Termin fällig wird (München WM 84, 469, 472). Voraussetzung des § 777 ist vielmehr eine Zeitbestimmung in der Sicherungsabrede (Frankf NJW 12, 2736, 2737) oder im Bürgschaftsvertrag, nach deren Ablauf die Verpflichtung des Bürgen erlöschen soll (Formulierungsbeispiel: ›Unsere Verpflichtungen aus der Bürgschaft erlöschen spätestens am …‹ s München BauR 04, 1631, 1632), wenn der Gläubiger die in § 777 beschriebenen Maßnahmen nicht durchführt. Das Vorliegen eines kalendermäßig vereinbarten Endtermins (§ 163) ist nicht erforderlich, die Zeitbestimmung kann auch indirekt durch Anknüpfung an ein Rechtsverhältnis oder Ereignis erfolgen (MüKoBGB/Habersack § 777 Rz 7). Bsp: ›3 Monate nach Beendigung des Mietvertrages‹ (Frankf WM 79, 1318; Grüneberg/Sprau § 777 Rz 1); ›mit Abnahme … oder mit Rückgabe [der] Bürgschaftsurkunde …‹ (BGHZ 139, 325, 329: Erfüllungsbürgschaft); Halbierung der Bürgschaft nach 2 Jahren (München BauR 07, 901); Fertigstellung einzelner Bauabschnitte (BGHZ 153, 311, 319; anders Kobl BeckRS 06, 00526), uU – Auslegungsfrage – Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft (RG HRR 35 Nr 581: s dagegen Rn 8).
Rn 7
Eine zeitliche Begrenzung im Bürgschaftsvertrag kann auch den Sinn haben, eine unbefristete Bürgschaft gegenständlich zu beschränken: Der Bürge steht nur für die innerhalb einer bestimmten Frist begründeten Verbindlichkeiten ein, für diese aber unbefristet (BGH NJW 88, 908 [BGH 17.12.1987 - IX ZR 93/87]; NJW 04, 2232, 2233 [BGH 15.01.2004 - IX ZR 152/00]). In diesem Fall ist § 777 nicht anwendbar: Der Gläubiger muss keine anspruchserhaltenden Maßnahmen (s Rn 11 ff) ergreifen.
Rn 8
Welche Art von Bürgschaft gewollt ist, ist im Wege der Auslegung der Bürgschaftsverpflichtung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (BGH NJW 88, 908; NJW 04, 2232, 2233). Bei Bürgschaften für künftige Forderungen handelt es sich meist um eine gegenständliche Beschränkung der Bürgschaft, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die zur Annahme einer Zeitbürgschaft zwingen oder der Wortlaut insoweit eindeutig ist (BGH NJW 88, 908; München BauR 04, 1631, 1632). In folgenden Fällen ist eine gegenständlich beschränkte Bürgschaft bejaht worden: Bestehen einer Ehe (Braunschw FamRZ 78, 111, 112), Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft (obiter dicta Braunschw aaO und RG HRR 35 Nr 581, das im konkreten Fall die Auslegung als Zeitbürgschaft bestätigt hatte: Die Verkürzung der Verjährung – s Vor § 765 Rn 36 – erleichtert heute die Annahme einer gegenständlich beschränkten Bürgschaft), Bürgschaft für bestimmte Waren- oder Kontokorrentkredite (BGH NJW 88, 908 [BGH 17.12.1987 - IX ZR 93/87]) oder Ansprüche aus einer Geschäftsverbindung (zB … auf die bis zum … aus … entstandenen Forderungen, vgl Zweibr WM 94, 788, 789 [OLG Zweibrücken 07.02.1994 - 7 U 78/93]), Prozessbürgschaft (BGH NJW 79, 417, 418 [BGH 20.11.1978 - VIII ZR 243/77]).
Rn 9
Kündigt der Bürge eine unbefristete Bürgschaft, wird diese nicht zur Zeitbürgschaft, sondern nur gegenständlich begrenzt: § 765 Rn 69.
II. Form.
Rn 10
Da die Zeitbestimmung eine Haftungserleichterung für den Bürgen darstellt, ist sie formfrei möglich (s § 766 Rn 5; MüKoBGB/Habersack § 777 Rz 9). Dagegen bedürfen die Verlängerung der vereinbarten Frist (Weber/Weber 92) oder die Zustimmung zu einer Stundung der Hauptforderung ohne Bestimmung eines neuen Endtermins – mit der der Bürge die Beschränkung seiner Haftung auf bestimmte Zeit aufgibt, RG JW 1903 Beil Nr 252 – als den Bürgen beschwerende Erklärungen der Schriftform: § 766 Rn 6.
III. Anspruchserhaltende Maßnahmen des Gläubigers bei Zeitablauf, Grenzen.
Rn 11
Bei einer selbstschuldnerischen Bürgschaft (§ 773 Rn 1) – dem Normalfall in der Praxis – muss der Gläubiger dem Bürgen die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft unverzüglich nach dem Fristablauf anzeigen: Sonst wird der Bürge frei (§ 777 I 2).
Rn 12
Die Anzeige kann bereits vor Ablauf der Frist abgegeben werden, wenn die Hauptschuld fällig ist (BGHZ 76, 81, 83 ff): Denn durch eine selbstschuldnerische Zeitbürgschaft wird die Bürgschaftsforderung nicht gestundet (aaO S 85).
Rn 13
Im gesetzlichen Leitfall der mit Einrede der Vorausklage ausgestatteten Bürgschaft (s § 771 Rn 1) muss der Gläubiger einer Geldforderung zunächst ab Fristablauf unverzüglich iSd § 121 I (1) die Einziehung nach Maßgabe des § 772 betreiben (s § 772 Rn 2, 4) und das Verfahren ohne wesentliche Verzögerungen fortsetzen, bevor er (2) dem Bürgen die Inanspruchnahme anzuzeigen hat (§ 777 I 1). Bei anderen Forderungen muss der Gläubiger eine nach der ZPO zulässige Zwangsvollstreckungsmaßnahme (erfolglos) durchführen (s § 771 Rn 5 f; Staud/Stürner § 777 Rz 14) und dem Bürgen sodann unverzüglich die Inanspruchnahme anzeigen (§ 777 I 1 aE). Dies gilt auch bei der Ausfallbürgschaft (§ 765 Rn 72 ff), auf die § 777 I 1 anzuwenden ist (BGH NJW 02, 2869, 2870 [BGH 13.06.2002 - IX ZR 398/00]).
Rn 14
Eine Anzeige nach I 1 kann entgegen dem Wortlaut auch während der Beitreibungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner, e...