Prof. Dr. Eckart Brödermann
Gesetzestext
(1) 1Hat sich der Bürge für eine bestehende Verbindlichkeit auf bestimmte Zeit verbürgt, so wird er nach dem Ablauf der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger die Einziehung der Forderung unverzüglich nach Maßgabe des § 772 betreibt, das Verfahren ohne wesentliche Verzögerung fortsetzt und unverzüglich nach der Beendigung des Verfahrens dem Bürgen anzeigt, dass er ihn in Anspruch nehme. 2Steht dem Bürgen die Einrede der Vorausklage nicht zu, so wird er nach dem Ablauf der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger ihm unverzüglich diese Anzeige macht.
(2) Erfolgt die Anzeige rechtzeitig, so beschränkt sich die Haftung des Bürgen im Falle des Absatzes 1 Satz 1 auf den Umfang, den die Hauptverbindlichkeit zur Zeit der Beendigung des Verfahrens hat, im Falle des Absatzes 1 Satz 2 auf den Umfang, den die Hauptverbindlichkeit bei dem Ablauf der bestimmten Zeit hat.
A. Einführung: Normzweck und Anwendungsbereich.
Rn 1
Die Zeitbürgschaft bietet dem Gläubiger nur eine Sicherheit auf Zeit, die es ihm ermöglichen soll, dem Hauptschuldner während der bestimmten Zeit Kredit zu gewähren (BGHZ 91, 349, 355; Mugdan Bd 2, 1031). § 777 enthält eine gesetzliche Auslegungsregelung zugunsten des Gläubigers: Entgegen §§ 163, 158 II wird der Bürge nicht allein durch den Eintritt des Endtermins frei, sondern nur dann, wenn der Gläubiger die in § 777 beschriebenen Maßnahmen – das Betreiben der Einziehung der Hauptforderung und/oder die unverzüglich nach Ablauf der Zeit mögliche Anzeige an den Bürgen (s Rn 11 ff) – nicht unverzüglich durchführt (BGH DB 66, 1053; BGHZ 76, 81, 85). Die Regelung in II begrenzt den Umfang der Bürgenhaftung als Rechtsfolge einer rechtzeitigen Anzeige.
Rn 2
Nach ihrem Wortlaut bezieht sich die Bürgschaft auf eine im Zeitpunkt der Bürgschaft schon bestehende Verbindlichkeit. § 777 ist aber auch auf eine Bürgschaft für künftige Verbindlichkeiten anwendbar (RGZ 82, 382, 384). Allerdings muss im Wege der Auslegung ermittelt werden, ob die Parteien eine Zeitbürgschaft iSd § 777 vereinbaren wollten oder lediglich eine gegenständliche Beschränkung der Bürgschaft bezweckten (s Rn 6 f).
Rn 3
Die Vorschrift ist entspr auf die zeitlich begrenzte (wie die Bürgschaft akzessorische) Verpfändung anwendbar (vgl RGZ 68, 141, 145 f; Staud/Stürner § 777 Rz 23), nicht hingegen auf die nach Art 1 Nr 2, 17, 32 I, II WG abstrakte Wechselbürgschaft (RGZ 74, 351, 352) und den eine selbstständige Schuld (Vor § 765 Rn 53 ff) begründenden Schuldbeitritt (Hambg HRR 1934 Nr 1199; Staud/Stürner § 777 Rz 23; aA MüKoBGB/Habersack § 777 Rz 3).
Rn 4
Die Regelung in § 777 ist begrenzt dispositv: Die Parteien können individualvertraglich vereinbaren, dass die Inanspruchnahme in Abweichung von I 2 bis zum Ablauf der bestimmten Zeit erfolgen muss, mit der Folge, dass der Bürge ohne Anzeige mit Ablauf der Frist frei wird (BGHZ 99, 288, 291; 139, 325, 329; NJW-RR 89, 1324, 1326). Endet die Frist in solchen Fällen an einem Sonn- oder Feiertag, ist § 193 anwendbar (BGHZ 99, 288, 291): Die Frist endet am nächsten Werktag. Wird das Anzeigeerfordernis ganz abbedungen (Grüneberg/Sprau § 777 Rz 2), so ist die Bürgschaft unbefristet und nur gegenständlich beschränkt (s Rn 6; Köln NJW 85, 2722, 2723; s.a. Hamm NJW 90, 54, 55 [OLG Hamm 08.05.1989 - 31 U 250/88]).
Rn 5
Dementspr kann die formularmäßige Abbedingung des Anzeigeerfordernisses bei einer Zeitbürgschaft ›typengehaltändernd‹, damit überraschend iSv § 305c (BGH NJW 04, 2232, 2234 [BGH 15.01.2004 - IX ZR 152/00]: bezweckt das Gegenteil des vom Bürgen gewollten) und unangemessen iSv § 307 II sein (Köln NJW 85, 2722 f; Tiedtke NJW 05, 2498, 2501; Voss MDR 90, 495, 497f [OLG Hamm 08.05.1989 - 31 U 250/88]).
B. Voraussetzungen.
I. Zeitbestimmung, Auslegung: Abgrenzung zur gegenständlich beschränkten Bürgschaft.
Rn 6
Eine Zeitbürgschaft ist nicht bereits dann vereinbart, wenn die Hauptschuld an einem bestimmten Termin fällig wird (München WM 84, 469, 472). Voraussetzung des § 777 ist vielmehr eine Zeitbestimmung in der Sicherungsabrede (Frankf NJW 12, 2736, 2737) oder im Bürgschaftsvertrag, nach deren Ablauf die Verpflichtung des Bürgen erlöschen soll (Formulierungsbeispiel: ›Unsere Verpflichtungen aus der Bürgschaft erlöschen spätestens am …‹ s München BauR 04, 1631, 1632), wenn der Gläubiger die in § 777 beschriebenen Maßnahmen nicht durchführt. Das Vorliegen eines kalendermäßig vereinbarten Endtermins (§ 163) ist nicht erforderlich, die Zeitbestimmung kann auch indirekt durch Anknüpfung an ein Rechtsverhältnis oder Ereignis erfolgen (MüKoBGB/Habersack § 777 Rz 7). Bsp: ›3 Monate nach Beendigung des Mietvertrages‹ (Frankf WM 79, 1318; Grüneberg/Sprau § 777 Rz 1); ›mit Abnahme … oder mit Rückgabe [der] Bürgschaftsurkunde …‹ (BGHZ 139, 325, 329: Erfüllungsbürgschaft); Halbierung der Bürgschaft nach 2 Jahren (München BauR 07, 901); Fertigstellung einzelner Bauabschnitte (BGHZ 153, 311, 319; anders Kobl BeckRS 06, 00526), uU – Auslegungsfrage – Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft (RG HRR 35 Nr 581: s dagegen Rn 8).
Rn 7
Eine zeitliche Begrenzung im Bürgschaftsvertrag kann auch den Sinn haben, eine unbefristete Bürgschaft gegenständlich zu beschränke...