Prof. Dr. Eckart Brödermann
Rn 11
Bei einer selbstschuldnerischen Bürgschaft (§ 773 Rn 1) – dem Normalfall in der Praxis – muss der Gläubiger dem Bürgen die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft unverzüglich nach dem Fristablauf anzeigen: Sonst wird der Bürge frei (§ 777 I 2).
Rn 12
Die Anzeige kann bereits vor Ablauf der Frist abgegeben werden, wenn die Hauptschuld fällig ist (BGHZ 76, 81, 83 ff): Denn durch eine selbstschuldnerische Zeitbürgschaft wird die Bürgschaftsforderung nicht gestundet (aaO S 85).
Rn 13
Im gesetzlichen Leitfall der mit Einrede der Vorausklage ausgestatteten Bürgschaft (s § 771 Rn 1) muss der Gläubiger einer Geldforderung zunächst ab Fristablauf unverzüglich iSd § 121 I (1) die Einziehung nach Maßgabe des § 772 betreiben (s § 772 Rn 2, 4) und das Verfahren ohne wesentliche Verzögerungen fortsetzen, bevor er (2) dem Bürgen die Inanspruchnahme anzuzeigen hat (§ 777 I 1). Bei anderen Forderungen muss der Gläubiger eine nach der ZPO zulässige Zwangsvollstreckungsmaßnahme (erfolglos) durchführen (s § 771 Rn 5 f; Staud/Stürner § 777 Rz 14) und dem Bürgen sodann unverzüglich die Inanspruchnahme anzeigen (§ 777 I 1 aE). Dies gilt auch bei der Ausfallbürgschaft (§ 765 Rn 72 ff), auf die § 777 I 1 anzuwenden ist (BGH NJW 02, 2869, 2870 [BGH 13.06.2002 - IX ZR 398/00]).
Rn 14
Eine Anzeige nach I 1 kann entgegen dem Wortlaut auch während der Beitreibungsmaßnahmen gegen den Hauptschuldner, etwa durch Streitverkündung ggü dem Bürgen, erfolgen (Kobl ZIP 05, 1822, 1823; Staud/Stürner § 777 Rz 17).
Rn 15
Die Inanspruchnahme des Bürgen setzt grds die Fälligkeit der Hauptforderung voraus (BGHZ 91, 349, 355f). Wird die Hauptschuld gleichzeitig mit dem Ablauf der bestimmten Zeit fällig – aus welchem Grund auch immer (zB Kündigung) –, erfüllt die anschließende unverzügliche Inanspruchnahme diese Voraussetzung (BGH NJW 89, 1856, 1858 [BGH 21.03.1989 - IX ZR 82/88]).
Rn 16
Ist die Forderung bei Ablauf der Bürgenzeit nicht fällig, erlischt die Bürgenhaftung mit Zeitablauf (KG NJW-RR 95, 1199). Keine Ausnahme (durch Eingriff in die Wertungen des Gesetzgebers) ist für den Fall zu machen, dass bei Ablauf der Bürgschaftszeit die Fälligkeit der Hauptschuld unmittelbar bevorsteht und die Nichterfüllung durch den Hauptschuldner abzusehen ist (LG Darmstadt WM 87, 1357, 1360; MüKoBGB/Habersack § 777 Rz 5; offengelassen von BGHZ 91, 349, 356; NJW 89, 1856, 1857). Hiervon zu unterscheiden ist der praktische Fall, dass (1.) die Hauptschuld innerhalb der Bürgschaftszeit fällig wird, (2.) die Fälligkeit der Hauptforderung unmittelbar bevorsteht, (3.) die Bürgenzeit zeitgleich ebenfalls kurz vor ihrem Ende steht und nunmehr die Anzeige erfolgt (vgl Staud/Stürner § 777 Rz 17).
Rn 17
Die Anzeige ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung (RGZ 153, 124, 126). Sie bedarf keiner Form (Staud/Stürner § 777 Rz 16) und muss den Betrag der Inanspruchnahme nicht einmal beziffern (Karlsr MDR 85, 585). Hat der Gläubiger dem Bürgen die Inanspruchnahme rechtzeitig angezeigt, bedarf es keiner unverzüglichen Klagerhebung des Gläubigers gegen den Bürgen (BGH NJW 83, 750, 751 [BGH 22.12.1982 - VIII ZR 199/81]). Im Fall einer gerichtlichen Geltendmachung gilt § 167 ZPO nicht entspr (BGH NJW 82, 172, 173 [BGH 21.10.1981 - VIII ZR 212/80] zu §§ 693 II, 270 III ZPO aF): Der Gläubiger muss die Anzeige fristwahrend rechtzeitig auf anderem Wege als durch Klage kommunizieren.