Prof. Dr. Petra Buck-Heeb
Gesetzestext
Wer ein rechtliches Interesse daran hat, eine in fremdem Besitz befindliche Urkunde einzusehen, kann von dem Besitzer die Gestattung der Einsicht verlangen, wenn die Urkunde in seinem Interesse errichtet oder in der Urkunde ein zwischen ihm und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet ist oder wenn die Urkunde Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft enthält, die zwischen ihm und einem anderen oder zwischen einem von beiden und einem gemeinschaftlichen Vermittler gepflogen worden sind.
A. Anwendbarkeit.
Rn 1
Existieren spezielle Anspruchsgrundlagen, findet § 810 keine Anwendung. Sonderregeln sind etwa §§ 371, 402, 410, 444, 445, 630g (bzgl Patientendaten), 667, 716, 985, 1144, 1145 BGB; § 105 III HGB iVm § 717 I BGB, §§ 150, 152; § 8 Abs 3 UmweltHG. Zum Recht auch aus dem Behandlungsvertrag (§ 630g) Köln, 2.3.15 – 5 U 105/14; Hamm 4.7.17 – 26 U 117/16. Das Informationsrecht kann idR auch nicht wahlweise auf die Spezialnorm und § 810 gestützt werden (Saarbr GmbHR 2011, 33 Rz 10 bzgl § 51a GmbHG).
B. Voraussetzungen des Einsichtsrechts.
I. Urkunde.
Rn 2
§ 810 enthält ggü § 809 eine Erweiterung für Urkunden mit rechtsgeschäftlichem Inhalt. Der Anspruch hängt allein vom Inhalt der Urkunde und vom Bestehen eines rechtlichen Interesses an der Einsichtnahme ab. Jeder Urkundenbesitzer ist zur Ermöglichung der Einsichtnahme verpflichtet (vgl BGH NJW 89, 225, 226 [BGH 11.07.1988 - II ZR 346/87]) Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es nicht an. Eine entspr Anwendung auf vergleichbare Tatbestände wird als möglich angesehen (Jauernig/Stadler §§ 809–811 Rz 9); zur Anwendbarkeit auf das Einsichtnahmerecht des ausgeschiedenen Vorstands in Geschäftsunterlagen Grooterhorst AG 11, 389 ff; Deilmann/Otte BB 11, 1291 ff. Urkunde bedeutet eine durch bleibende Zeichen verkörperte rechtserhebliche Gedankenerklärung. Daher scheidet regelmäßig ein Recht auf Vorlage von privaten Briefen oder Tagebüchern aus, da es sich hierbei nicht um Urkunden iSd § 810 handelt; anders, wenn ein Brief eine rechtsgeschäftliche Erklärung enthält. Für Patientenakten stellt sich durch die neben § 810 bestehende spezielle Regelung des Einsichtsrechts in § 630g nicht mehr die Frage der Urkundeneigenschaft (Habermalz NJW 13, 3403).
Rn 3
Technische Aufzeichnungen, die keine rechtsgeschäftliche Erklärung enthalten, sind keine Urkunde iSd § 810 und daher von § 809 erfasst. Dies gilt zB für Tonträger, Fotografien (BGHZ 65, 300f), Tachometerscheiben und Röntgenaufnahmen. Eine Ausn soll jedoch gelten und § 810 analog anzuwenden sein, wenn die Einsichtnahme in technische Aufzeichnung im Sachzusammenhang mit sonstigen (schriftlichen) Unterlagen geltend gemacht wird (München NJW 01, 2806: Original-Röntgenaufnahmen; Köln VersR 10, 1504). Umstr ist, ob § 810 analog auf rechtserhebliche Erklärungen, die mit technischen Tonträgern aufgezeichnet sind (ua Datenträger, Mikrodokumentation), anwendbar ist (Staud/Marburger Rz 8; direkte Anwendung bei Karlsr NZG 01, 654, 655) oder ob eine Vorlage nur nach § 809 verlangt werden kann (MüKo/Habersack Rz 3). Bei § 810 muss es sich um im Besitz eines anderen befindliche Originalurkunden handeln. Abschriften oder Fotokopien sind nur dann erfasst, wenn das Interesse gerade an diesen besteht, zB weil das Original unleserlich (AG Hagen NJW-RR 98, 262, 263) oder nicht mehr vorhanden ist (Celle BB 73, 1192, 1193; aA Hambg OLGE 22, 351). Umgekehrt kann der Berechtigte nicht in allen Fällen Einsicht in die Originale fordern; zB hat der Versicherer nur ausnahmsweise bei Fälschungsverdacht einen Anspruch auf Einsicht in die Original-Schadensbelege (Bremen NJW-RR 90, 1181, 1182).
II. Rechtliches Interesse.
Rn 4
Für § 810 ist i Ggs zu § 809 ein rechtliches Interesse an der Einsicht erforderlich. Das liegt vor, wenn die Einsichtnahme zur Erhaltung, Förderung oder Verteidigung der rechtlich geschützten Interessen notwendig ist (BGH NJW 81, 1733 [BGH 08.04.1981 - VIII ZR 98/80]; enger Hamm NJW-RR 87, 1395). Das kann auch bei einem ausgeschiedenen Gesellschafter sei (München 23.2.17 – 23 U 2748/16, juris Rz 81). Entscheidend für die Beurteilung ist der Zweck, nicht der Inhalt der Urkunde (Frankf 26.11.20 – 6 U 79/19, juris Rz 95). Das Interesse braucht nicht vermögensrechtlicher Art sein, ein familienrechtliches oder öffentlich-rechtliches Interesse reicht. Ein rechtliches Interesse liegt zB vor, wenn sich der Vorlegungsberechtigte nach dem Verlust seiner Vertretungsurkunde über die Existenz sowie den Umfang seines Rechts Gewissheit verschaffen will. Das gilt auch, wenn ihm die Urkunde verschuldet abhandengekommen ist (BGH WM 92, 977 ff; Schlesw 5.9.18 – 9 U 43/18, juris Rz 12; enger Hamm NJW-RR 87, 1395 [OLG Hamm 02.02.1987 - 11 W 19/86]). Es muss auf einen Zusammenhang zwischen dem Inhalt der Urkunde und dem Rechtsverhältnis geschlossen werden können (Frankf 21.6.12 – 22 U 89/10, juris Rz 42: genügend konkrete Angaben). Da ein schutzwürdiges Interesse vorliegen muss (BGH NJW 14, 3312 Rz 24: ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung), fehlt es an einem rechtlichen Interesse, wenn die Vorlegung einer unzulässigen Ausforschung dient, bei der l...