Rn 58
Der Bereicherungsanspruch aus § 812 I 1 Alt 2 setzt einen Eingriff in die Rechtssphäre des Bereicherungsgläubigers voraus. Was genau darunter zu verstehen ist, ergibt sich aus § 812 I 1 Alt 2 nicht. Für eine tatbestandskonforme Definition des Begriffs ist zu unterscheiden zwischen dem eigentlichen Eingriffsakt, seiner Qualifizierung als unbefugt und seinem Objekt.
Rn 59
Als ›Eingriff‹ iSd § 812 I 1 Alt 2 kommen Handlungen des Bereicherten oder eines Dritten (Schulbeispiel: Hausmeister verfeuert fremde Kohle zugunsten des Hauseigentümers) in Betracht, die sowohl in aktivem Tun als auch in Unterlassen (Dulden) bestehen können (HP/Wendehorst § 812 Rz 70). Darin unterscheidet sich die Eingriffskondiktion von der Aufwendungskondiktion, bei der die Vermögensverschiebung durch eine Handlung des Entreicherten herbeigeführt wird (vgl Rn 66). Des Weiteren kann auch der Erwerb kraft Gesetzes (etwa gem §§ 946 ff, wenn die Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung vom Bereicherten vorgenommen wird; sonst Aufwendungskondiktion), kraft Hoheitsaktes (Auskehrung des Versteigerungserlöses in der Zwangsvollstreckung) oder durch einen Naturvorgang (Zufliegen eines Bienenschwarms) einen Eingriff ioS darstellen (ausf mit weiteren Bsp Erman/Buck-Heeb § 812 Rz 74 ff).
Rn 60
Dass nur der unbefugte Eingriff zum Bereicherungsausgleich führen kann, liegt auf der Hand. Daraus ließe sich auf erste Sicht der Schluss ziehen, jeden rechtswidrigen Zugriff auf ein fremdes Rechtsgut als ›rechtsgrundlos‹ und deshalb kondiktionsauslösend anzusehen. Dieser Ansatz der von Schulz (AcP 105, 09, 1 ff) begründeten und in der Folgezeit in verschiedenen Ausprägungen weiterentwickelten (insb Kellmann 110 ff; Kleinheyer JZ 70, 471 ff; wN bei MüKo/Schwab § 812 Rz 238 ff) Rechtswidrigkeitstheorie greift bei näherer Betrachtung allerdings in zweifacher Hinsicht zu kurz: Er umfasst einerseits auch solche Eingriffe, die ungeachtet ihrer Rechtswidrigkeit schon deshalb nicht bereicherungsrechtlich relevant sein können, weil dem Berechtigten keine geldwerte Verwertungsmöglichkeit des betroffenen Rechtsguts genommen wird (iE Rn 62). Auf der anderen Seite lassen sich Fallkonstellationen denken, in denen ein Bereicherungsanspruch gegeben sein muss, obwohl der Rechtsverlust ohne ein rechtswidriges Zutun des Bereicherten herbeigeführt wurde, so etwa beim Einbau gestohlener Baumaterialien durch den Bauhandwerker in das Gebäude des Bauherrn, der sich dann gem §§ 951 I iVm § 812 I 1 Alt 2 der Eingriffskondiktion des ursprünglichen Eigentümers der Baumaterialien ausgesetzt sieht (vgl Larenz/Canaris Schuldrecht II/2, § 69 I 1b; iE zu den sog Einbaufällen Rn 68 ff).
Rn 61
Vor diesem Hintergrund stellt nach heute hM jede im Widerspruch zur rechtlichen Güterzuordnung stehende Inanspruchnahme einer fremden Rechtsposition mit ausschl Zuweisungsgehalt einen Eingriff iSd § 812 I 1 Alt 2 dar (BGH NJW 23, 3358 [BGH 23.03.2023 - V ZR 113/22] Rn 20; BGH NJW 21, 1303 = JZ 21, 736; BGH NJW 13, 2519, 2520; 13, 781; 12, 3301, 3303 Rz 27; BGHZ 107, 117, 120; 99, 385, 387; 82, 299, 306; grdl Willburg 27 ff; MüKo/Schwab § 812 Rz 244 ff; Reuter/Martinek 245 ff, 248; Erman/Buck-Heeb § 812 Rz 65; Medicus Rz 709 ff; HP/Wendehorst § 812 Rz 122; AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 80 mwN). Dieser Sichtweise immanent ist eine stärkere Hinwendung zum Eingriffsobjekt, wodurch bei näherer Betrachtung Elemente des Tatbestandsmerkmals ›auf dessen Kosten‹ für die tatbestandskonforme Bestimmung eines Bereicherungsvorgangs ›in sonstiger Weise‹ herangezogen werden. Vereinfacht lässt sich also sagen: Es kommt entscheidend darauf an, worauf der Zugriff des Bereicherungsschuldners gerichtet war, nicht wie er erfolgt ist. Der Bereicherungsausgleich findet statt, soweit der aus der Inanspruchnahme des betroffenen Rechtsgutes resultierende Vorteil nach den Kriterien der allg Güterzuordnung dem Rechtsgutinhaber gebührt. Die gem § 812 I 1 Alt 2 bereicherungsrechtlich relevante Vermögensverschiebung ist also bei näherer Betrachtung das Ergebnis einer Beeinträchtigung der ausschl dem Rechtsgutinhaber zugewiesenen Befugnis, über die kommerzielle Nutzung und Verwertung einer ihm nach der rechtlichen Güterzuordnung zugewiesenen Rechtsposition entscheiden zu dürfen (HP/Wendehorst § 812 Rz 123; AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 81 f, mwN). Anknüpfend an ein solcherart eingegrenztes Verständnis vom ›ausschl Zuweisungsgehalt‹ des betroffenen Rechtsgutes lassen sich trotz eines va in dogmatischen Einzelheiten uneinheitlichen Meinungsbildes (ausf hierzu MüKo/Schwab § 812 Rz 244 ff) alle wichtigen Kriterien für die Definition des Eingriffstatbestandes ableiten.
Rn 62
Nach obigen Grundsätzen muss der Bereicherungsschuldner eine dem Berechtigten zugewiesene Nutzungs- oder Verwertungsmöglichkeit okkupiert haben, die dieser ihm gegen Entgelt hätte gewähren können (BGH NJW 21, 1303 = JZ 21, 736; BGHZ 107, 117, 120 f; BGH NJW 07, 216, 217 Rz 17; MüKo/Schwab § 812 Rz 250; HP/Wendehorst § 812 Rz 123 f; AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 8...