Rn 8
Maßgebend für die Systematik des gesamten Bereicherungsrechts ist die Generalklausel in § 812 I. In ihr sind die Grundparameter der bereicherungsrechtlichen Ausgleichordnung (Rn 1 ff) bezogen auf insgesamt vier Kondiktionstatbestände niedergelegt. Nach dem Wortlaut der Regelung in § 812 I 1 zerfallen diese Grundtatbestände wiederum in zwei Gruppen. Sie betreffen zum einen die Herausgabe von Leistungen, die der Bereicherungsgläubiger willentlich aufgrund einer rechtsgeschäftlichen Entschließung erbracht hat – Leistungskondiktion. Zum anderen sind die Fälle erfasst, in denen der Bereicherungsschuldner den ›in sonstiger Weise‹ rechtsgrundlos erfolgten Erwerb herausgeben muss – Nichtleistungskondiktion. Die Unterscheidung und Abgrenzung beider Kondiktionsformen ist schon deshalb nicht nur von theoretischem Interesse, weil bspw die Ausschlusstatbestände der §§ 814, 815 ausdrücklich auf leistungsbezogene Bereicherungsvorgänge beschränkt sind. Und insb bei Mehrpersonenverhältnissen zeigt sich, dass die Bestimmung der bereicherungsrechtlich relevanten Rechtsbeziehungen nicht selten entscheidend von der Beantwortung der Frage dominiert ist, inwieweit rechtsgeschäftlich veranlasste Leistungen erbracht worden sind (iE Rn 22 ff). Die darüber hinaus erforderliche Strukturierung und Präzisierung des Anwendungsbereichs der Nichtleistungskondiktion wird – oft in negativer Abgrenzung von der Leistungskondiktion – allg durch die Bildung von Fallgruppen vorgenommen (s Rn 56 ff; vgl hierzu auch Erman/Westermann § 812 Rz 67, 73, 74, 80), die sich teilw zu eigenständigen Kondiktionstatbeständen verdichtet haben (s Rn 11 f).
Rn 9
§ 812 I unterscheidet zwischen fünf Fällen der Leistungskondiktion. Die Kondiktion wegen anfänglichen Fehlens des rechtlichen Grundes (condictio indebiti, § 812 I 1 Alt 1 – s Rn 20 ff); die Kondiktion wegen späteren Wegfalls des rechtlichen Grundes (condictio ob causam finitam, § 812 I 2 Alt 1 – s Rn 34 ff); die Kondiktion wegen Zweckverfehlung (condictio ob rem, § 812 I 2 Alt 2 – s Rn 41 ff); die Kondiktion wegen einer Leistung auf eine zwar bestehende, aber mit einer dauernden Einrede behafteten Schuld (§ 813 I 1 – s dort); die Kondiktion wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten oder ein gesetzliches Verbot (condictio ob turpem vel iniustam causam, § 817 1 – s dort).
Rn 10
Allen Leistungskondiktionstatbeständen ist gemein, dass sie an eine Störung der dem Zuwendungsvorgang zugrunde liegenden Leistungsbeziehung anknüpfen (HP/Wendehorst § 812 Rz 19; vgl auch BGH WM 07, 731 Rz 35). Insoweit nimmt die Zweckverfehlungskondiktion (condictio ob rem – § 812 I 2 Alt 2) allerdings eine gewisse Sonderstellung ein, weil der verfehlte Zweck der Leistung gerade nicht in der Erfüllung der im Kausalgeschäft verankerten und als solche erzwingbaren (Haupt-)Leistungspflichten bestehen darf (hierzu iE Rn 45 ff).
Rn 11
Von der Leistungskondiktion zu unterscheiden sind die Tatbestände der Nichtleistungskondiktion, denen durch die gesetzeshistorisch (hierzu eingehend Reuter/Martinek 20 ff; 2. Teilband 2. Aufl 16) bedingt unspezifizierte Formulierung ›… oder in sonstiger Weise …‹ in § 812 I 1 Alt 2 ein weites Feld eröffnet ist. Die Bemühungen von Rspr und Lit um eine dogmatisch abgesicherte Ausgestaltung aller denkbaren Erscheinungsformen der Nichtleistungskondiktion dauern an; sie stoßen insb in der Suche nach praktisch handhabbaren Kriterien für eine Abgrenzung von der Leistungskondiktion iRd bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung von Mehrpersonenverhältnissen an Grenzen (hierzu iE Rn 76 ff).
Rn 12
Die Nichtleistungskondiktion ist dadurch gekennzeichnet, dass der bereicherungsrechtlich relevante Vorgang nicht auf einem Willensentschluss des Entreicherten beruht, sondern auf eine einseitige ›Ansichnahme‹ des Bereicherungsgegenstandes durch den Bereicherten zurückzuführen ist (HP/Wendehorst § 812 Rz 24, 120). Das gilt jedenfalls für den in § 812 I 1 Alt 2 normierten Grundtatbestand der Eingriffskondiktion (s Rn 56 ff) und die gleichgerichteten Ansprüche aus § 816. Ebenfalls dem Grundgedanken eines ungerechtfertigten Eingriffs verhaftet ist die Rechtsgrundverweisung in § 951 I 1, sofern die Verbindung, Vermischung oder Verarbeitung durch den Bereicherten erfolgt ist.
Rn 13
Anders liegen die Dinge, wenn bspw der Entreicherte den Rechtsverlust nach §§ 946 ff herbeiführt. Ua dann kommt eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung nach den Grundsätzen der sog Verwendungskondiktion in Betracht, die sich von der Leistungskondiktion nur dadurch unterscheidet, dass der Entreicherte die Aufwendungen zwar mit eigenen Mitteln, jedoch nicht willentlich als Leistung an den Bereicherten erbringt (iE Rn 66 ff). Besondere Bedeutung hat die Aufwendungskondiktion beim ›Bau auf fremdem Boden‹. Ebenfalls ein Sonderfall der Nichtleistungskondiktion und eng verwandt mit der Aufwendungskondiktion ist die Rückgriffskondiktion, deren Hauptanwendungsfall in der Rückabwicklung einer (rechtsgrundlosen) Zuwendung durch Tilgung fremder Schuld (§ 267) be...