1. condictio indebiti – § 812 I 1 Alt 1.
a) Anwendungsbereich.
Rn 20
Die Kondiktion wegen Fehlens des rechtlichen Grundes gem § 812 I 1 Alt 1 (condictio indebiti) ist der Grundtyp der Leistungskondiktion und hat solcherart Leitbildfunktion für alle übrigen Tatbestände dieser Kondiktionsform (s Rn 8 f). Ihr Hauptanwendungsfall besteht in der Rückabwicklung von Zuwendungen, die der Bereicherungsgläubiger zum Zwecke der Erfüllung einer tatsächlich von Anfang an nicht bestehenden vertraglichen Verbindlichkeit erbracht hat. Der Bereicherungsschuldner soll dann das als Folge des Abstraktionsprinzips regelmäßig gleichwohl wirksam erworbene Eigentum am Zuwendungsgegenstand nicht behalten dürfen. Seine Verpflichtung zur Herausgabe bzw zum Wertersatz ergibt sich aus §§ 812 I 1 Alt 1, 818 I, II. Das setzt allerdings voraus, dass die Zuwendung des Leistenden von der Fehlvorstellung getragen ist, vertraglich zur Leistung verpflichtet zu sein. Unterliegt er dieser Fehlvorstellung nicht, kann er keinen Bereicherungsausgleich beanspruchen – § 814.
Rn 21
Durch den in § 812 I 2 Alt 1 normierten Tatbestand der condictio ob causam finitam stellt das Gesetz klar, dass der Bereicherungsausgleich unter den iÜ für beide Kondiktionsformen geltenden Voraussetzungen auch dann stattzufinden hat, wenn der im Zeitpunkt der Zuwendung gegebene Rechtsgrund für die Leistung später weggefallen ist. Die praktische Relevanz einer strengen Differenzierung zwischen den beiden Kondiktionstatbeständen ist gering (Rn 35).
b) Tatbestandsmerkmale.
aa) Durch die Leistung eines anderen – Leistungsbegriff (Grundlagen).
Rn 22
Am Tatbestandsmerkmal ›durch die Leistung eines anderen‹ scheiden sich Leistungs- und Nichtleistungskondiktionen (grds zur Erforderlichkeit einer Differenzierung: Rn 8, 14 ff). Was geleistet ist, kann nicht zugleich ›in sonstiger Weise‹ erlangt sein. Leistungs- und Nichtleistungskondiktion schließen einander also aus (Alternativität). Einziges Kriterium für die Abgrenzung der beiden Kondiktionsformen ist nach dem Wortlaut des Gesetzes der Leistungsbegriff, der von diesem Boden über die weiter andauernden Bemühungen um die Entwicklung von allgemeingültigen und praktikablen Kriterien für die Abwicklung der Bereicherungsvorgänge in Mehrpersonenverhältnissen ins Zentrum des Bereicherungsrechts gerückt ist. Nach stRspr des BGH (grundlegend BGHZ 58, 184, 188; 111, 382; BGH NJW 04, 1169 mwN; zuletzt BGHZ 162, 167; NJW 05, 60; WM 07, 731 Rz 35; MDR 12, 952) und hL (statt vieler Staud/Lorenz § 812 Rz 4 ff; Reuter/Martinek 80 ff; Erman/Buck-Heeb § 812 Rz 11; AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 13; Medicus Rz 666, 686) ist unter einer Leistung iSd § 812 I 1 Alt 1 die bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens zu verstehen (BGH NZI 21, 197 Rn 18; BGH JZ 21,784 [BGH 05.11.2020 - I ZR 193/19] Rn 16). Mit diesem Begriffsverständnis ist die früher allg anerkannte Definition der Leistung als ›bewusste Mehrung fremden Vermögens‹ (krit zum Erfordernis einer unmittelbaren Vermögensverschiebung MüKo/Schwab § 812 Rz 42 ff) um das Merkmal der Zweckgerichtetheit erweitert worden. Gerade darin stößt die hM auf eine gewisse Kritik (etwa Kupisch 14 ff; vgl hierzu insb auch Canaris FS Larenz, 799 ff, 857 ff und Larenz/Canaris II/2 § 70 VI 2, 248 f; zum Meinungsstand Staud/Lorenz § 812 Rz 4 ff mwN; umfassend Thomale Leistung als Freiheit 12).
Rn 23
Diese Kritik ist nur tw berechtigt, soweit sie einer allzu begrifflich-schematischen Überspitzung des modernen Leistungsbegriffs entgegenzuwirken sucht. Insb Canaris (aaO) hat aufgezeigt, dass die für einen geordneten Bereicherungsausgleich in Dreipersonenverhältnissen maßgeblichen Wertungskriterien normativen Ursprungs sind und sich nicht immer stimmig im Merkmal der Zweckgerichtetheit verankern lassen. Gleichwohl kommen auch Canaris und mit ihm viele andere Gegner der Zweckgerichtetheitshypothese bei der Lösung der meisten Problemfälle zu keinen anderen Ergebnissen als die hM. Das überrascht nicht, weil auch die hL jene Wertungskriterien im Grundsatz anerkennt (vgl AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 13; Erman/Buck-Heeb § 812 Rz 17f) und der BGH mehrfach betont hat, dass sich ›bei der bereicherungsrechtlichen Behandlung von Vorgängen, an denen mehr als zwei Personen beteiligt sind, jede schematische Lösung verbietet und in erster Linie die Besonderheiten des einzelnen Falles zu beachten sind‹ (BGH NZI 21, 197 Rz 19; BGHZ 122, 46, 51; NJW 04, 1169; ohne Erwähnung des Leistungsbegriffs und statt dessen unter Rückgriff auf Wertungskriterien BGH NJW 05, 1369 [BGH 19.01.2005 - VIII ZR 173/03]). Es lässt sich deshalb sagen, dass der Bereicherungsausgleich abseits aller begrifflichen Auseinandersetzung jedenfalls den folgenden, grds Wertungen unterliegt (Canaris aaO, 802 f; MüKo/Schwab § 812 Rz 54 f, 68):
- Jeder Partei bleiben ihre Einwendungen gegen die andere Partei des fehlerhaften Kausalverhältnisses erhalten.
- Keine Partei ist Einwendungen ausgesetzt, die ihr Vertragspartner aus Rechtsbeziehungen zu Dritten ableitet (exceptio ex iure tertii).
- Jede Partei trägt nur das Risiko der Zahlungsunfähigkeit desjenigen, den sie sich selbst als (Vertrags-)Partner ausgesucht hat.
Rn...