1. Einleitung.
Rn 76
Der Bereicherungsausgleich in Mehrpersonenverhältnissen gehört zu den schwierigsten, jedenfalls zu den unübersichtlichsten Problemfeldern, die das allg Zivilrecht für den Rechtsanwender bereithält. Das hat zu einer bis in kleinste Verästelungen reichenden Diversifizierung der Meinungen in einer nicht unerheblichen Anzahl von dogmatischen Streitpunkten geführt, die eher geeignet ist zu vernebeln, was es zu erhellen gilt, und sich in einer – wie der BGH selbst bekennt (insb BGH NJW 04, 1169 [BGH 23.10.2003 - IX ZR 270/02]) – stark von den Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles geprägten, deshalb zuweilen etwas konturlosen Rspr abbildet (krit hierzu insb Hadding WuB, 187). Gleichwohl steht am Ende all dieser Bemühungen ein erstaunlich hohes Maß an Übereinstimmung in den gefundenen Ergebnissen, was wiederum auf einen weit reichenden, nicht zuletzt vom BGH in den sog ›Anweisungsfällen‹ (s.u. Rn 85 ff) vorangetriebenen Grundkonsens hinsichtlich der für die rechtliche Beurteilung des Bereicherungsausgleichs in Mehrpersonenverhältnissen wichtigen Wertungsentscheidungen zurückzuführen sein dürfte. Die folgenden Ausführungen verzichten deshalb auf eine – auch nur anthologische – Darstellung des Meinungsbildes, das stattdessen als Fundament für die Erarbeitung zuverlässiger Entscheidungsgrundsätze aus den praktisch relevanten Fallkonstellationen dienen soll.
2. Allgemeine Grundsätze.
a) Durchgriffsverbot.
Rn 77
Am Anfang aller Erwägungen für eine geordnete Rückabwicklung rechtsgrundloser Zuwendungen in Mehrpersonenverhältnissen steht das historisch aus dem Verbot der Versionsklage entwickelte Durchgriffsverbot. Es besagt, dass der Bereicherungsgläubiger sich mit seinem Kondiktionsanspruch an denjenigen halten muss, dem der durch den Bereicherungsvorgang aus seinem Vermögen herausgelöste Kondiktionsgegenstand zugeflossen ist, und nicht auf das Vermögen anderer Personen zurückgreifen darf, die lediglich mittelbar von der kondiktionsauslösenden Vermögensverschiebung profitiert haben (vgl AnwK/v Sachsen Gessaphe § 812 Rz 127). Sichtbar wird dieser Grundsatz insb in der Vorschrift des § 822, die dem Bereicherungsgläubiger nur dann den Zugriff auf das Vermögen des begünstigten Zweiterwerbers ermöglicht, wenn er mit seinem Kondiktionsanspruch gegen den Ersterwerber ausfällt, weil dieser den Kondiktionsgegenstand an jenen unentgeltlich weitergegeben hat (vgl hierzu § 822 Rn 2 ff). Der Durchgriff auf das Vermögen des Zweiterwerbers ist also die Ausnahme von der Regel, dass sich der Bereicherungsgläubiger an den unmittelbar begünstigten Ersterwerber halten muss. Die solcherart iÜ auch durch § 816 I gesetzlich verankerte Schwäche des unentgeltlichen Erwerbs als nicht kondiktionsfest (s § 816 Rn 2) stellt im Zusammenspiel mit den Vorschriften zum gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten (§§ 932 ff; 366 I HGB) wiederum ein wichtiges Kriterium für die bereicherungsrechtliche Zuordnung von Vermögensverschiebungen in Mehrpersonenverhältnissen dar, auf das insb im Zusammenhang mit den sog Einbaufällen zurückzukommen sein wird (Rn 82 ff).
b) Leistungsbegriff.
Rn 78
Für den Bereicherungsausgleich in mehrgliedrigen Leistungsverhältnissen führt das Prinzip des Durchgriffsverbots zu der Erkenntnis, dass der Bereicherungsausgleich grds iRd bestehenden Leistungsbeziehungen stattzufinden hat (so ausdr BGH NZI 21, 197 [BGH 29.10.2020 - IX ZR 212/19] Rz 21; NJW 08, 2331 [BGH 29.04.2008 - XI ZR 371/07] Rz 9 mwN). Das gilt nicht nur für die sog ›Leistungskette‹ (A verkauft und liefert an B, der an C weiterveräußert), sondern betrifft auch die sog ›Anweisungsfälle‹ (dazu Rn 85 ff). Zwischen welchen Beteiligten dann solche Leistungsbeziehungen bestehen, lässt sich nach hiesigem Begriffsverständnis zumeist mit Hilfe des normativen Leistungsbegriffs beantworten (hierzu iE Rn 22 ff); nur in besonders gelagerten Problemfällen wird auf insb von Canaris (FS Larenz 799 ff, 857 ff und Larenz/Canaris II/2 § 70 VI 2, 248f) herausgearbeitete, dem Leistungsbegriff iÜ weitgehend inhärente Wertungskriterien abzustellen sein (iE Rn 23, 27 aE), die mit Blick auf die hierauf im Folgenden aufbauenden Ausführungen an dieser Stelle noch einmal genannt seien:
- Jeder Partei müssen ihre Einwendungen gegen die andere Partei des fehlerhaften Kausalverhältnisses erhalten bleiben;
- Keine Partei darf Einwendungen ausgesetzt sein, die ihr Vertragspartner aus Rechtsbeziehungen zu Dritten ableitet (exceptio ex iure tertii);
- Jede Partei darf nur das Risiko der Zahlungsunfähigkeit desjenigen tragen, den sie sich selbst als (Vertrags-)Partner ausgesucht hat.
c) Unmittelbarkeitsgrundsatz.
Rn 79
Im Bereich der Eingriffskondiktionen findet das Durchgriffsverbot seine Ausprägung im Unmittelbarkeitsgrundsatz, mit dessen Hilfe kondiktionsfeindliche Reflexvorteile Dritter vom bereicherungsrechtlich relevanten Vermögenserwerb des eingreifenden Bereicherungsschuldners abgegrenzt werden können. Darüber hinaus lassen sich aus dem Unmittelbarkeitskriterium erhellende Rückschlüsse auf die Person des Bereicherungsschuldners ziehen, wenn der Vermögensvorteil überhaupt nicht beim Eingreifen...