a) Entstehungsgründe.
aa) Überblick.
Rn 107
Nach stRspr ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grds verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (s zB BGHZ 5, 378, 380 f; NJW 75, 108; 90, 1236; 06, 2326 Rz 7; 07, 762 Rz 11; 08, 3775 Rz 9; 3778 Rz 10; 10, 1967 Rz 5; NJW-RR 11, 88 Rz 8; BGHZ 195, 30 Rz 6; VersR 14, 78 Rz 13; 642 Rz 8; 17, 1162 Rz 6; 18, 178 Rz 13; NJW 20, 2108 Rz 24; BeckRS 20, 10339 Rz 25; NJW 21, 1090 Rz 8 f; VersR 21, 452 Rz 24; 23, 796 Rz 18; NJW 23, 2037 Rz 13, jew mwN). Die unterschiedlichen Fallgruppen, welche wichtige Entstehungsgründe von Verkehrspflichten widerspiegeln, erlauben nur eine grobe Aufteilung. Die Übergänge sind teilw fließend, ebenso die Grenze zwischen Handeln und Unterlassen, die bei der Haftung für Verkehrspflichtverletzungen häufig ineinander übergehen (Soergel/Krause § 823 Anh II Rz 8).
bb) Einzelne Entstehungsgründe.
Rn 108
Älteste Fallgruppe ist die Eröffnung bzw Duldung eines Verkehrs, zB in Gebäuden, auf Grundstücken oder Straßen (s insb RGZ 54, 53, 55 f; BGHZ 5, 378, 380 f; 108, 273, 274 f; 121, 367, 375; NJW 06, 2326; VersR 23, 66 Rz 11). Die Pflicht zur Sorge für Sicherheit und Schutz der Verkehrsteilnehmer trifft nicht ausschließlich den Eigentümer des Grundstücks, Gebäudes oder Verkehrswegs, sondern auch denjenigen, der eine solche Sache nutzt und im Zusammenhang mit dieser Nutzung einen Verkehr eröffnet (zB den Pächter von Geschäftsräumen), und sie besteht über den Zeitpunkt der Verkehrseröffnung hinaus. Ein Unterfall ist die Inverkehrgabe gefährlicher Sachen (zB BeckOGK/Spindler § 823 Rz 410), die insb für die Produkthaftung von Bedeutung ist. Hier treten Überschneidungen mit der Übernahme- bzw Berufshaftung (s.u. Rn 111) auf.
Rn 109
Ein weiterer Entstehungsgrund ist die Einwirkung auf einen bestehenden Verkehr, zB durch bauliche Maßnahmen oder Verkehrsregelung (sofern diese nicht öffentliche Aufgabe ist; dann gilt § 839 iVm Art 34 GG). Die dadurch verursachten Gefahren für Verkehrsteilnehmer sind zu minimieren.
Rn 110
Auch aus der tatsächlichen Gewalt über gefährliche Sachen oder dem Andauernlassen einer Gefahrenlage (zu Letzterem BGH NJW 21, 1090 Rz 8 mwN) können Verkehrspflichten entstehen. Dabei müssen andere iRd Möglichen und Zumutbaren vor den von diesen Gegenständen ausgehenden Gefahren geschützt werden. Das gilt für bewegliche wie unbewegliche Sachen (Spezialfälle: §§ 836–838).
Rn 111
Die Übernahme- bzw Berufshaftung betrifft Verkehrspflichten im Zusammenhang mit der Übernahme einer Aufgabe oder Verantwortlichkeit bzw bei Ausübung einer professionellen Tätigkeit. Gesetzliche Konkretisierungen einer Übernahmehaftung finden sich insb in §§ 831 II, 832 II, 834, 838. Die Berufshaftung ergibt sich aus besonderen Sorgfaltserfordernissen bei der Ausübung bestimmter Berufe, zB Arzt, Architekt, Bauingenieur (NK-BGB/Katzenmeier § 823 Rz 132; Hk/Staudinger § 823 Rz 64), insb wegen des Vertrauens, das der Berufsausübung von den damit in Berührung Kommenden entgegengebracht wird (Larenz/Canaris § 76 III 3b mwN), nicht aber ohne Weiteres aus vorvertraglichen Aufklärungspflichten (BGH VI ZR 501/13 Rz 14); dazu näher unten Rn 172 f.
Rn 112
Zu Organisationspflichten s.u. Rn 128.
b) Umfang.
Rn 113
Der Umfang der Verkehrspflichten ist stark einzelfallabhängig. Zu seiner Konkretisierung ist zwischen den Interessen des Sicherungspflichtigen, der Gefährdeten – unter Berücksichtigung ihrer Grundrechte (dazu insb BVerfG NJW 16, 3013 Rz 11) – und den Interessen der Allgemeinheit abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann (BGH BeckRS 19, 18159 Rz 14; 18917 Rz 5; VersR 21, 452 Rz 25 mwN). Den drei genannten Bereichen lassen sich alle Kriterien zuordnen, die – in unterschiedlichen Varianten – als für den Umfang von Verkehrspflichten relevant angesehen werden (zB Staud/J Hager § 823 Rz E 25 ff; Soergel/Krause § 823 Anh II Rz 27 ff; MüKo/Wagner § 823 Rz 475 ff; weiterhin etwa Gerecke VersR 08, 1595). Allerdings bestehen Wechselwirkungen, die sich insb in den häufig verwendeten Kriterien ›Zumutbarkeit‹ (von Sicherungsmaßnahmen) und ›Vertrauen‹ (des Gefährdeten in derartige Vorkehrungen) widerspiegeln. Beide übergreifen letztlich alle drei Bereiche; so hängt die Zumutbarkeit zB auch vom Grad der Gefährdung anderer ab und das Vertrauen von der praktischen Möglichkeit von Sicherungsmaßnahmen. Da sich beide Kriterien wechselseitig beeinflussen, können sie nur Leitlinien sein, die durch eine Reihe von Indizien konkretisiert werden (zutr insb Soergel/Spickhoff § 823 Rz 9: Herausarbeitung bestimmter Verantwortungsbereiche und einer damit verbundenen Zuständigkeitsverteilung).
aa) Sicherungspflichtiger.
Rn 114
Auf Seiten des Sicherungspflichtigen sind zunächst die faktischen und rechtlichen Möglichkeiten von Sicherungsmaßnahmen sowie ihre Zumutbarkeit zu berücksichtigen (zB BGH VersR 75, 812 mwN; BGHZ 108, 273, 274; NJW 00, 1946 f; 07, 762 Rz 11; 10, 1967 Rz 6; VersR 14, 78 Rz 14; 642 Rz 9 mwN). Die Rspr bezieht bei der Frage der Zumutbarkeit zunehmend ...