a) Gesamtsystem der Produkthaftung.
Rn 176
Die deliktsrechtliche Produkthaftung (oder Produzentenhaftung) ist ein Unterfall der Haftung für Verkehrspflichtverletzung (grundl RGZ 163, 21, 26; weiterhin insb BGHZ 51, 91, 105; 104, 323, 330) mit Elementen der Verantwortlichkeit für gefährliche Sachen und der Berufs- bzw Übernahmehaftung. Die Haftung nach § 823 I ist ein praktisch sehr wichtiger und zugleich der älteste Teilbereich der Produkthaftung, die teils auf § 823 I u II, teils auf Spezialregelungen beruht. Wichtige Sonderregelungen sind insbesondere:
Rn 177
Die verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte nach § 1 ProdHaftG auf der Grundlage der EG-ProdHaftRL (s Kommentierung zu §§ 1 ff ProdHaftG). Gem § 15 II ProdHaftG bleibt zwar die Haftung nach § 823 I unberührt; wegen der einschr Auslegung des zugrundeliegenden Art 13 Var 1 der ProdHaftRL durch den EuGH ist aber bei inhaltlichen Abweichungen eines Anspruchs aus § 823 I von der RL ggf eine Vorlage an den EuGH gem Art 267 AEUV zu erwägen (s § 15 ProdHaftG Rn 2).
Rn 178
Die Gefährdungshaftung für fehlerhafte Arzneimittel nach § 84 AMG, die gem § 15 I ProdHaftG auch der Haftung nach dem ProdHaftG vorgeht. Sie dürfte für den Geschädigten idR günstiger sein als die Haftung gem § 823 I; weiterhin die Haftung nach §§ 32 ff GenTG.
Rn 179
Normen des Produktsicherheitsgesetzes, durch das die EG-Produktsicherheits-RL (2001/95/EG, ABl 02, L 1/4; Änderungen: ABl 08, L 218/30; 09, L 188/14) umgesetzt wird, sowie der Medizinprodukte-VO (EU) 2017/745 (ABl 17, L 117/1; Änderungen: ABl 20 L 130/18) bzw früher des Medizinproduktegesetzes iVm § 823 II (s.u. Rn 241).
Rn 180
Sonstige Ansprüche aus § 823 II iVm Schutzgesetzen, die materiellrechtlich eine Haftung für fehlerhafte Produkte betreffen. Solche Regelungen sind zB §§ 5, 17, 26, 30 LFGB (s BGH NJW 87, 1694, 1695; BGHZ 105, 346, 355 ff – zum FuttermittelG).
Rn 181
Vertragliche Ansprüche, va Ansprüche gegen einen Produzenten, der zugleich Vertragspartner des Geschädigten ist, wegen Sachmängeln, darüber hinaus im Einzelfall Ansprüche gegen den Hersteller aus Garantieerklärung gem § 443, ggf iVm § 479 (vgl auch schon BGHZ 68, 369, 372; NJW 81, 2248, 2249; BGHZ 104, 82, 85 ff). Sie konkurrieren grds frei mit Deliktsansprüchen (Vor §§ 823 ff Rn 21). Andere vertragsrechtliche Konstruktionen, die früher für die Produkthaftung diskutiert wurden, hat der BGH im grundl ›Hühnerpest‹-Fall (BGHZ 51, 91) abgelehnt.
b) Charakteristika der Produkthaftung nach § 823 I.
Rn 182
Die allg deliktsrechtliche Produkthaftung wurde durch Fortbildung der Haftung nach § 823 I unter besonderer Berücksichtigung der Grundsätze über die Verletzung von Verkehrspflichten entwickelt (grundl BGHZ 51, 91). Grundgedanke ist, dass die Herstellung sowie das Inverkehrbringen gefährlicher Produkte besondere Sorgfaltspflichten (Verkehrspflichten) begründen, deren Verletzung Schadensersatzansprüche auslösen kann. Die Rspr hat im Laufe der Jahre zahlreiche produkthaftungsspezifische Verkehrspflichten entwickelt (Rn 183 ff). Hinzu treten Beweiserleichterungen für den Geschädigten (Rn 200 ff), die den Besonderheiten der Produkthaftung Rechnung tragen und ihre Nähe zu anderen Berufshaftungen, insb zur Arzthaftung, verdeutlichen.