a) Grundlagen.
Rn 172
Grundlage der Haftung für Verletzung von Verkehrspflichten bei der Ausübung bestimmter Berufe (grundl RGZ 102, 372, 374) ist das besondere Vertrauen, das der Berufsausübung entgegengebracht wird, und die damit verbundene Verringerung des Selbstschutzes des Geschädigten. Die Berufshaftung hat sich zur eigenständigen Fallgruppe der Haftung für Verkehrspflichtverletzung entwickelt. Ob darüber hinaus eine weitere Verselbstständigung zu einer eigenständigen, darüber hinausreichenden und auch die Vertragshaftung und die Haftung nach § 826 einbeziehenden Haftungskategorie in Betracht kommt (dazu zB Hirte Berufshaftung 1996; Odersky NJW 89, 1 ff; Schiemann FS Gernhuber 387, 388 f mwN), kann hier offenbleiben; es erscheint allerdings zweifelhaft, ob die unter eine Berufshaftung zu fassenden, sehr unterschiedlichen Tätigkeiten hierfür hinreichende Gemeinsamkeiten aufweisen. Charakteristika der deliktsrechtlichen Berufshaftung sind insb rollenspezifische Verkehrspflichten, die sich an beruflichen Standards orientieren, sowie eine Beweislastumkehr bei grober Verletzung von Berufspflichten (zB BGHZ 103, 298, 304; NJW-RR 91, 1240, 1241; Köln VersR 70, 229, 230 f; München VersR 98, 326, 327; krit zB BeckOGK/Spindler § 823 Rz 585). Die europäische RL über Dienstleistungen im Binnenmarkt (RL 2006/123/EG, ABl 2006, L 376/36) enthält keine materiellrechtlichen Regelungen zur außervertraglichen Haftung für Dienstleistungen.
b) Wichtige Fallgruppen.
Rn 173
Architekten obliegen Verkehrspflichten ggü dem Auftraggeber sowie ggü denjenigen, die bestimmungsgemäß mit den Bauarbeiten bzw dem Bauwerk in Berührung kommen, zB den auf der Baustelle Beschäftigten, aber auch Passanten (zB BGHZ 68, 169, 174; NJW 91, 562, 563; 97, 582, 584). Die konkreten Pflichten hängen von den Umständen des Einzelfalls, insb vom Umfang der jeweiligen Architektenleistung ab. Zu den Berufspflichten von Gebrauchtwagenhändlern s insb BGH NJW 04, 1032, 1033 [BGH 11.02.2004 - VIII ZR 386/02]; Hamm NJW-RR 04, 311, 312, zu denen von Vertragshändlern bei der Weitergabe von Ersatzschlüsseln BGH NJW 23, 2037 [BGH 28.03.2023 - VI ZR 19/22] Rz 17 ff, auch zur Vereinbarkeit mit Art 35 AEUV. Bei Gutachtern und Sachverständigen ist für gerichtliche Sachverständige § 839a vorrangig. Sonst haften diese Personen idR nur nach § 826 (§ 826 Rn 21), da durch eine Verletzung ihrer Pflichten meist lediglich das Vermögen geschädigt ist. Für Wirtschaftsprüfer kommt neben vertraglichen Ansprüchen und solchen aus § 323 I 3 HGB nur in Einzelfällen eine Haftung wegen Verkehrspflichtverletzung nach § 823 I in Betracht (Weber NZG 99, 1, 5), eher eine solche nach § 826. Ähnlich ist die Situation bei der Anlageberatung, insb lässt sich hier aus einer rechtlichen Sonderverbindung nicht ohne Weiteres eine deliktsrechtlich relevante Garantenstellung und damit eine Verkehrspflicht ableiten (s insb BGH WM 14, 2214 Rz 17 ff). Zur Produkthaftung Rn 176 ff, zur Arzthaftung Rn 205 ff.
c) Perspektiven.
Rn 174
Schien sich die Berufshaftung bislang weitgehend auf die Zusammenfassung von Fallgruppen zu beschränken, könnte in neuerer Zeit stärker gefragt werden, ob sich über die bisherigen Fallgruppen hinaus allgemeine Grundsätze der Berufshaftung entwickeln lassen. In diese Richtung könnten erste Entscheidungen des BGH deuten, in denen er die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern im Rahmen der Arzthaftung auf andere Konstellationen der Berufshaftung übertragen hat (BGHZ 215, 44 Rz 23 ff; NJW 18, 301 Rz 23 ff). So sehr eine Systematisierung der Regeln der Berufshaftung wünschenswert wäre, müsste hier aber doch genau untersucht werden, ob die Grundsätze der Arzthaftung ohne weiteres auf andere Fallgruppen übertragbar sind und vor allem, welche allgemeinen Argumente für eine derartige Modifikation der Beweislast sprechen (krit zB auch Mäsch NJW 17, 2080 f; Laumen MDR 18, 256 f; MedR 18, 484 ff [BGH 23.11.2017 - III ZR 60/16]; J Prütting NJW 19, 2661 ff; positiver Koch JZ 17, 843 ff [BGH 11.05.2017 - III ZR 92/16]; Koch/Rupp NJW 18, 267, 268f).