Rn 221
Bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers nimmt die Rspr für die Kausalität zwischen Pflicht- und Rechtsgutverletzung eine Beweislastumkehr vor, sofern der Fehler geeignet war, eine derartige Rechtsgutverletzung herbeizuführen, wobei die Möglichkeit von Mitursächlichkeit genügt (dazu insb BGHZ 159, 48, 55 f mN zur früheren Rspr; NJW 05, 427, 428; 2072, 2073; BGHZ 172, 1 Rz 25; NJW 08, 1304 Rz 11; 22, 2747 Rz 18 ff; zur Anwendbarkeit beim Gesamtschuldnerinnenausgleich zwischen mehreren Behandlern und Klinikträgern BGHZ 235, 369 Rz 27 ff, dazu Fischer NJW 23, 956 ff; zur Kritik an der Rspr zum groben Behandlungsfehler s nur Katzenmeier Arzthaftung 454 ff mwN; Schmidt MedR 07, 693, 699 ff; G Wagner FS Hirsch 453 ff; Foerste FS Deutsch [09] 165, 171 ff; eine Ausnahme von der Beweislastumkehr kann zugunsten eines zufällig am Unglücksort anwesenden Arztes eingreifen, München NJW 06, 1883, 1885 f [OLG München 06.04.2006 - 1 U 4142/05], zust H Roth NJW 06, 2814, 2815f); es muss sich allerdings auch gerade das durch den groben Behandlungsfehler begründete Risiko verwirklicht haben (BGH NJW 22, 2747 Rz 23 ff, krit Mäsch NJW 22, 2751). Die Beweislastumkehr erfasst idR nur Primär-, nicht aber Sekundärschäden (BGH NJW 78, 1683 f [BGH 09.05.1978 - VI ZR 81/77]; 08, 1381 [BGH 12.02.2008 - VI ZR 221/06] Rz 13 mwN; 13, 3094 Rz 12 ff; 14, 688 Rz 32; Karlsr OLGR 08, 558, 559). Grober Behandlungsfehler ist ein Verstoß gegen ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse, der nach den Umständen des konkreten Falles aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich und verantwortbar erscheint und einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (s insb BGH NJW 83, 2080, 2081 [BGH 10.05.1983 - VI ZR 270/81]; 01, 2795, 2796 [BGH 03.07.2001 - VI ZR 418/99]; BGHZ 172, 1 Rz 25; NJW-RR 07, 744 Rz 9 mwN; NJW 09, 2820 Rz 15; 11, 3442 Rz 8; 12, 227 Rz 8; VersR 18, 1192 Rz 18; NJW 22, 2747 Rz 11 ff mwN). Bsp sind die Nichterhebung erforderlicher Befunde, Therapiefehler oder das Unterlassen einer notwendigen Sicherungsaufklärung, ggf auch die Verletzung von Hygienestandards (BGH NJW 08, 1304 [BGH 08.01.2008 - VI ZR 118/06] Rz 7; einschr Hamm MedR 06, 215, 216 f [OLG Hamm 11.10.2005 - 3 U 93/04]; BeckRS 08, 23874; BeckRS 16, 16468) oder elementarer medizinischer Grundregeln, die im jeweiligen Fachgebiet vorausgesetzt werden (BGH NJW 86, 1540, 1541 [BGH 03.12.1985 - VI ZR 106/84]; 00, 2741, 2742 [BGH 08.02.2000 - VI ZR 325/98]; 11, 3442 Rz 11 mwN). Bei Diagnosefehlern setzt die Rspr die Schwelle für das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers besonders hoch an (zB BGH VersR 81, 1033 f; NJW 88, 1513, 1514; 01, 1787, 1788; 11, 1672 Rz 20) und auch bei fehlerhafter therapeutischer Aufklärung ist das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers stets einzelfallbezogen genau zu prüfen (BGH NJW 09, 2820 Rz 15). Ein grober Behandlungsfehler ist durch wertende Entscheidung des Gerichts auf der Grundlage von Sachverständigengutachten festzustellen (dazu zB BGHZ 72, 132, 135; 132, 47, 53; 138, 1, 6; 172, 254 Rz 20 f; NJW 09, 2820 Rz 15 f; 12, 227 Rz 9 ff; 15, 1601 Rz 16 ff – sehr stark auf die Wertungen des Sachverständigen abstellend, jew mwN); in der Revisionsinstanz kann nur überprüft werden, ob der Begriff des groben Behandlungsfehlers verkannt oder bei der Gewichtung des Fehlers erheblicher Prozessstoff außer Betracht gelassen oder verfahrensfehlerhaft gewürdigt wurde (BGH VersR 18, 1192 Rz 19; NJW 22, 2747 Rz 12, beide mwN). Die aus dieser Beweislastumkehr folgende Kausalitätsvermutung kann vom Arzt nur widerlegt werden, wenn ein Kausalzusammenhang mit der eingetretenen Rechtsgutverletzung gänzlich unwahrscheinlich ist (zB BGHZ 129, 6, 12 f; 138, 1, 8; 159, 48, 54 f; NJW 12, 2653 Rz 6), der Patient den gleichen Schaden auch bei rechtmäßigem und fehlerfreiem ärztlichem Handeln erlitten hätte (BGH NJW 05, 2072, 2073 mwN; 12, 2024 Rz 12), sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt (BGH NJW 81, 2513 f [BGH 16.06.1981 - VI ZR 38/80]; 12, 2653 Rz 6; Staud/J Hager § 823 Rz I 56 mwN) oder der Patient durch sein Verhalten den Heilungserfolg vereitelt und dadurch in gleicher Weise wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, dass der Umfang des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (BGHZ 159, 48, 55 mwN; NJW 05, 427, 428; 12, 2653 Rz 6, str, s Staud/J Hager § 823 Rz I 56; krit Gerecke MedR 10, 689 ff). Die Grundsätze über die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern wurden mittlerweile auch auf die Haftung von Tierärzten übertragen (BGH NJW 16, 2502 Rz 14 ff; aA Kobl VersR 09, 1503). Die Entscheidung des BGH betrifft zwar einen vertragsrechtlichen Anspruch, die Grundsätze sind aber auf die Deliktshaftung gleichermaßen anwendbar. Zugleich hat der BGH verdeutlicht, dass bei der Feststellung, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt (aber nicht erneut bei der Frage der Beweislastumkehr) die Besonderheiten bei der Behandlung von Tieren ...