I. Funktion.
Rn 1
§ 826 als dritte der ›kleinen‹ haftungsrechtlichen Generalklauseln (Vor §§ 823 ff Rn 6) gewährt Schutz bei sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung. Die Weite der Vorschrift hinsichtlich der geschützten Rechtsgüter (keine Beschränkung auf bestimmte Rechtsgüter, daher werden zB auch das Vermögen oder ideelle Güter erfasst) und der haftungsbegründenden Verhaltensweisen (keine Beschränkung auf die Verletzung bestimmter Pflichten) wird durch das Vorsatzerfordernis und die Notwendigkeit eines Sittenverstoßes ausbalanciert und damit eine Entwicklung zur ›großen‹ Generalklausel oder zum deliktsrechtlichen Auffangtatbestand verhindert. Andererseits ermöglicht gerade das Merkmal der Sittenwidrigkeit eine flexible Anpassung des Haftungsrechts an veränderte faktische Situationen oder soziale Umstände.
Rn 2
§ 826 dient der Ergänzung anderer Haftungstatbestände, die jedoch teilw iS einer Auffangfunktion eingeschränkt wird (zB BeckOGK/Spindler § 826 Rz 2; Erman/Wilhelmi § 826 Rz 1; krit zB Larenz/Canaris § 78 I 2a). Wichtig ist weiterhin insb die Entwicklungsfunktion (zB Erman/Wilhelmi § 826 Rz 2; Deutsch JZ 63, 385, 390; ähnl BeckOGK/Spindler § 826 Rz 2): Der Richter kann bei der Konkretisierung des Tatbestands des § 826 Verhaltensstandards einfließen lassen, die sich noch nicht zu Rechtsnormen iSd § 823 II entwickelt haben, ggf auch ausländische Rechtsnormen (BGH JZ 91, 719 ff [BGH 20.11.1990 - VI ZR 6/90]; NJW 93, 194f [BGH 20.10.1992 - VI ZR 361/91]); zudem bietet die Vorschrift Raum für die Berücksichtigung verfassungs- und europarechtlicher Wertungen (s zB Karlsr VersR 08, 522f). Diese Weiterentwicklung der Deliktshaftung ist die wichtigste Funktion des § 826, in der auch die mitunter gesondert angeführte Legitimationsfunktion für die richterliche Rechtsfortbildung (zB NK-BGB/Katzenmeier § 826 Rz 1; Erman/Wilhelmi § 826 Rz 2; Larenz/Canaris § 78 I 2b) mit aufgeht. Die Grenzen der Weiterentwicklung sind im Einzelnen str (s nur Soergel/Hönn § 826 Rz 3, 17 ff einerseits, Brüggemeier 353 f andererseits). Bei ihrer Bestimmung sind auch die für eine Auffangfunktion des § 826 vorgebrachten Argumente zu berücksichtigen: Wegen der starken Konkretisierungsbedürftigkeit des Begriffs der ›guten Sitten‹ sollte insb spezialgesetzlichen Regelungen, die sich aufgrund einer zu § 826 entwickelten Rspr herausgebildet haben, ggü § 826 Vorrang zukommen (so auch zB BeckOGK/Spindler § 826 Rz 2 mwN; aA Erman/Wilhelmi § 826 Rz 1; zur Entwicklungsfunktion des § 826 bei der Gesellschafterhaftung ausführl Seele Die Haftung von Gesellschaftern wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung 19, 197 ff). Das ist jedoch nicht mit der mitunter zusätzlich angeführten Begrenzungsfunktion des § 826 gleichzusetzen (dazu insb Larenz/Canaris § 78 I 2c), die letztlich als ›natürliche‹ Funktion der Tatbestandsmerkmale des § 826 erscheint.
II. Anwendungsbereich.
Rn 3
Grds konkurriert § 826 mit anderen zivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen. Vorrangig ggü § 826 sind jedoch § 839 (BGHZ 13, 25, 28; VersR 83, 639, 640 – mit Ausn) und nach hM § 2287 (s.u. Rn 35). Str ist das Verhältnis zum Schutz des Rechts am Unternehmen nach § 823 I: Trotz der Subsidiarität des Rechts am Unternehmen geht die hM von Anspruchskonkurrenz aus (§ 823 Rn 81). Im Verhältnis zu anderen zivilrechtlichen Schadensersatztatbeständen (zB § 9 UWG, § 33a GWB) besteht ebenfalls grds Anspruchskonkurrenz, was insb wegen der speziellen Zuständigkeits- und Verjährungsvorschriften für diese Ansprüche von Bedeutung sein kann. Ausnahmen sind zu erwägen, wenn eine Spezialregelung als abschließend gedacht ist (s zB NK-BGB/Katzenmeier § 826 Rz 16; Erman/Wilhelmi § 826 Rz 25; Sack FS Ullmann 825, 838 f für das UWG) oder der gesetzliche Tatbestand aus der Rspr zu § 826 entwickelt wurde (s.o. Rn 2).
Rn 4
Für das Verhältnis zu anderen zivilrechtlichen Regelungen, die nicht auf Schadensersatz gerichtet sind, gilt: §§ 123 f stehen selbstständig neben § 826, dh § 826 kann auch nach Ablauf der Anfechtungsfrist greifen (RGZ 79, 194, 197; BGH NJW 62, 1196, 1198 [BGH 31.01.1962 - VIII ZR 120/60]; 69, 604, 605; krit zB Erman/Wilhelmi § 826 Rz 24). Bei Fortbestehen des Vertrags kommt im Rahmen der Haftung aus § 826 grds nur Ersatz des negativen Interesses in Betracht, es sei denn, das Vertragsrecht lässt eine Haftung auf das positive Interesse zu (RGZ 132, 76, 81; BGH WM 69, 496, 498; NJW 00, 2669, 2670 [BGH 30.05.2000 - IX ZR 121/99] mwN; BeckOGK/Spindler § 826 Rz 27 mwN). Bei angefochtenem Vertrag kann es immer nur um das negative Interesse gehen (BGH NJW 60, 237 f; Ausn: BGHZ 57, 137, 142f); hier sind die vertragsrechtlichen Wertungen zu beachten, aber die Haftung nach § 826 kann wegen der qualifizierten Voraussetzungen und des damit verbundenen höheren Unrechtsgehalts im Einzelfall weitergehen. Die Naturalrestitution nach § 826 kann nach der Rspr auch in der Aufhebung eines sittenwidrigen Vertrags bestehen (s nur BGHZ 161, 361, 369 mwN; NJW-RR 05, 751 sowie die Abgasfälle, s.u. Rn 24 ff), was nicht unbedenklich ist (s.u. Rn 10). § ...