Rn 13
Die ›kleine‹ Generalklausel des § 826 ist durch Richterrecht konkretisiert worden, das sich in Fallgruppen zusammenfassen lässt. Diese ermöglichen eine Orientierung bei der Anwendung des § 826, entbinden jedoch weder von der Prüfung der Umstände jedes Einzelfalls (trotz einer gewissen Indizwirkung der Zuordnung zu einer Fallgruppe für die Sittenwidrigkeit, s Erman/Wilhelmi § 826 Rz 27) noch sind sie abschließend, insb sind die subjektiven Tatbestandselemente jeweils konkret festzustellen. Die Fallgruppen werden hier in erster Linie anhand der sie konstituierenden Verhaltensweisen, in zweiter Linie nach den einschlägigen Rechtsgebieten untergliedert, wobei Überschneidungen unvermeidlich sind.
1. Schädigungen im Zusammenhang mit Verträgen.
a) Verhaltensweisen im Vorfeld eines Vertrags.
aa) Täuschung zur Herbeiführung eines Vertrags.
Rn 14
Eine Täuschung zur Herbeiführung eines Vertrags durch aktives Handeln oder durch Verschweigen von für den anderen Teil bedeutsamen Tatsachen (bei Bestehen einer Offenbarungspflicht, s nur BGH NJW 71, 1795, 1799 [BGH 28.04.1971 - VIII ZR 258/69]; NJW-RR 91, 1312) kann neben § 123 auch von § 826 erfasst werden. Bsp: Täuschung über die Eigentumsverhältnisse am Vertragsgegenstand (BGH NJW 84, 2284; 92, 310, 311 [BGH 09.10.1991 - VIII ZR 19/91]), über dessen Eigenschaften (bei Käuferketten dürfte eine Haftung ggü späteren Erwerbern aber nur in Betracht kommen, wenn mit dem Weiterverkauf konkret zu rechnen war, so überzeugend Braunschw NJW 07, 609, 610 [OLG Braunschweig 13.04.2006 - 8 U 29/05] mwN zum Meinungsstand), über die Zahlungsfähigkeit des Vertragspartners (BGH NJW 84, 2284, 2285; WM 85, 866, 868; NJW-RR 91, 1312, 1315; ähnl BGHZ 176, 204 Rz 29), über das Bestehen eines zweiten Arbeitsvertrags bei Nachfrage (BAG NZA 95, 935) oder über das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Subvention (BGH VersR 15, 75 Rz 16 ff); zur Täuschung durch Dritte insb BGH BB 59, 60; NJW 84, 2284. Im Zusammenhang mit der Abgasproblematik käme eine Haftung der Autohändler unter diesem Gesichtspunkt nur in Betracht, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Kenntnis von der Abschaltvorrichtung hatten oder haben mussten, was schwer zu beweisen sein dürfte. Daher wird hier regelmäßig ein grob leichtfertiges gewissenloses Verhalten des Herstellers geprüft (s.u. Rn 24a). Zu Konkurrenzfragen s.o. Rn 4. Um die Anforderungen der §§ 123 ff sowie der §§ 3 ff AnfG, § 133 InsO nicht zu unterlaufen, sollten grds über sie hinausgehende sittenwidrige Umstände verlangt werden (BGHZ 130, 314, 330 f; NJW 96, 1283; 2231, 2232; 00, 3138, 3139; BeckOGK/Spindler § 826 Rz 34f).
bb) Missbrauch von Vertretungsmacht.
Rn 15
Der Missbrauch von Vertretungsmacht kann von § 826 erfasst werden (zB NK-BGB/Katzenmeier § 826 Rz 21; Grüneberg/Sprau § 826 Rz 21; zum Missbrauch einer Generalvollmacht BGH NZG 11, 1225 [BGH 13.09.2011 - VI ZR 229/09] Rz 9; zum kollusiven Zusammenwirken im Rahmen von Sale-and-Lease-Back-Vereinbarungen München BeckRS 16, 8056); teilw wird dies jedoch für den Missbrauch organschaftlicher Vertretungsmacht eingeschränkt (zB BeckOGK/Spindler § 826 Rz 45 mwN).
cc) Vertragsvereitelung.
Rn 16
Die Vertragsvereitelung ist nur unter besonderen Umständen sittenwidrig, zB wenn sie zur wirtschaftlichen Vernichtung des Vertragspartners systematisch betrieben (BGHZ 12, 308, 318) oder wenn beim ›Ausspannen‹ von Vertragspartnern systematisch vorgegangen wird (zB RGZ 149, 114, 121; 151, 86, 89 ff; BGHZ 54, 188, 198; NJW 61, 1308, 1309).
dd) Vereinbarungen über Schmiergeldzahlungen.
Rn 17
Vereinbarungen über die Zahlung von Schmiergeldern sind nicht nur regelmäßig nach § 138 und ggf auch nach § 134 nichtig, sondern sie können auch Schadensersatzansprüche Dritter gegen beide Partner der Vereinbarung nach § 826 begründen (s etwa LAG Köln BeckRS 23, 29539). Die Rspr sieht den Verstoß gegen die guten Sitten bereits in der Verheimlichung der Zuwendung (BGH NJW 18, 2412 Rz 24), aber der Anspruchsteller wird bei § 826 dennoch den Eintritt eines Schadens darlegen und beweisen müssen. In Bezug auf das Vorliegen einer Schmiergeldabrede geht die Rspr davon aus, dass der Kläger seiner Darlegungslast bereits genügt, wenn er ausreichende Anhaltspunkte dafür vorträgt, dass eine Schmiergeldabrede getroffen worden ist (BGH NJW 18, 2412 Rz 26 mwN). Behaupte der Beklagte sodann, eine solche Schmiergeldabrede habe nicht vorgelegen, treffe ihn eine sekundäre Darlegungslast (BGH NJW 18, 2412 [BGH 18.01.2018 - I ZR 150/15] Rz 28 ff).
b) Verhaltensweisen bei der Vertragsdurchführung.
aa) Nicht- oder Schlechterfüllung.
Rn 18
Die Nicht- oder Schlechterfüllung vertraglicher Pflichten begründet für sich genommen noch keine Sittenwidrigkeit, sondern allenfalls bei Hinzutreten besonderer verwerflicher Umstände, zB Täuschung, um den Vertragspartner zur Aufgabe rechtlicher Absicherungen zu bewegen (Dresd NJW-RR 00, 207, 208 [OLG Dresden 09.12.1998 - 8 U 2864/98]: Zurückbehaltungsrecht), Verschweigen von Mängeln ggü dem Vertragspartner bei Offenbarungspflicht aufgrund besonderer Kenntnisse (Ddorf NJW-RR 01, 885, 886 [OLG Düsseldorf 19.01.2001 - 22 U 121/00]) oder andere Formen der bewussten Benachteiligung des Vertragspartners (zB RGZ 58, 219 ff). Auch das Löschen von Beiträgen auf einem Internetportal durch den Portalbetreiber stellt regelmäßig keine sittenwidrige Schädigung dar...