Gesetzestext
Wer in einem der in den §§ 823 bis 826 bezeichneten Fälle für einen von ihm verursachten Schaden auf Grund der §§ 827, 828 nicht verantwortlich ist, hat gleichwohl, sofern der Ersatz des Schadens nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden kann, den Schaden insoweit zu ersetzen, als die Billigkeit nach den Umständen, insbesondere nach den Verhältnissen der Beteiligten, eine Schadloshaltung erfordert und ihm nicht die Mittel entzogen werden, deren er zum angemessenen Unterhalt sowie zur Erfüllung seiner gesetzlichen Unterhaltspflichten bedarf.
A. Funktion und Anwendungsbereich.
I. Funktion.
Rn 1
§ 829 statuiert eine Billigkeitshaftung für bestimmte Fälle der Verschuldensunfähigkeit als Ausnahme vom Verschuldensprinzip. Die Rechtsnatur der Haftung (Gefährdungshaftung, reine Ausfallhaftung, Ergänzung der verschuldensabhängigen Haftung, dazu insb MüKo/Wagner § 829 Rz 2; BeckOGK/Schneider § 829 Rz 2.1 mwN; Waldkirch Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht 18, 188 ff) ist str, aber für die Normanwendung letztlich nicht entscheidend.
II. Anwendungsbereich.
Rn 2
§ 829 betrifft nach seinem Wortlaut lediglich Fälle der §§ 823–826. Weitgehende Einigkeit besteht aber darüber, dass die Vorschrift auch für die Modifikationen dieser Haftungstatbestände in §§ 830 ff, also insb für §§ 831, 833 2, 834, 836–838 (Hamm VersR 77, 531, 532) sowie für §§ 844 f (RGZ 94, 220, 221f) gilt (zB MüKo/Wagner § 829 Rz 4 mwN; NK-BGB/Katzenmeier § 829 Rz 2). Wenn man §§ 827 f auch für Gefährdungshaftung, die auf einer Haltereigenschaft beruht, heranzieht (§ 827 Rn 2), ist § 829 ebenso anzuwenden (so auch zB MüKo/Wagner § 829 Rz 4; NK-BGB/Katzenmeier § 829 Rz 2; Erman/Wilhelmi § 829 Rz 1; aA Waldkirch Zufall und Zurechnung im Haftungsrecht 18, 195). Nicht anwendbar ist § 829 auf vertragliche Ansprüche (Umkehrschluss aus § 276 I 2, s insb Deutsch JZ 64, 86, 89; Böhmer NJW 67, 865; MüKo/Wagner § 829 Rz 6 mwN; aA insb Weimar MDR 65, 263f). Str ist die Anwendung bei Anspruchskonkurrenz: Beim Zusammentreffen mit einem Vertragsanspruch sollte § 829 bei Deliktsansprüchen iS einer echten Anspruchskonkurrenz angewandt und nicht die Deliktshaftung durch das Vertragsrecht modifiziert werden (str, wie hier zB MüKo/Wagner § 829 Rz 6; Soergel/Spickhoff § 829 Rz 6; NK-BGB/Katzenmeier § 829 Rz 3; Böhmer NJW 67, 865; aA zB BeckOK/Spindler § 829 Rz 10 f; Erman/Wilhelmi § 829 Rz 1), bei Konkurrenz mit Gefährdungshaftung ist § 829 auch anwendbar (BGHZ 23, 90, 98 f; 127, 186, 193; MüKo/Wagner § 829 Rz 4), aber wohl nur ausnahmsweise (s Soergel/Spickhoff § 829 Rz 7). IRd § 254 ist § 829 als Konsequenz der Heranziehung der §§ 827 f analog anzuwenden (zB BGHZ 37, 102, 106; NJW 69, 1762; 73, 1795; MüKo/Wagner § 829 Rz 5; NK-BGB/Katzenmeier § 829 Rz 2); ob die Mithaftung eines geschädigten Kindes wegen seines Anspruchs gegen die Eltern aus § 832 entfällt, ist str (dagegen zB Celle NJW 69, 1632, 1633; Grüneberg/Sprau § 829 Rz 1; dafür zB BeckOK/Spindler § 829 Rz 12); der besondere Regelungszweck des § 829 spricht eher für eine Anwendung. Weiterhin wird § 829 auf folgende Fälle ausgedehnt: Fehlen einer Handlung als Anknüpfungspunkt für einen Deliktstatbestand, sofern noch irgendein tatsächlicher Ansatzpunkt für die Zurechnung des Verhaltens gegeben ist (RGZ 146, 213, 215; BGHZ 23, 90, 98 f; aA Esser/Weyers § 55 III 2), fehlende Steuerungsfähigkeit (und damit kein Verschulden) eines an sich verschuldensfähigen Minderjährigen (BGHZ 39, 281, 284 f; dagegen Böhmer MDR 64, 278, 280), nicht hingegen Verhalten eines Zurechnungsunfähigen, das auch einen Zurechnungsfähigen nicht zum Ersatz verpflichten würde, zB wegen Beachtung der erforderlichen Sorgfalt (RGZ 146, 213, 215 f; BGH NJW 62, 2201, 2202 [BGH 26.06.1962 - VI ZR 152/61]; NK-BGB/Katzenmeier § 829 Rz 5) und auch keine analoge Anwendung iRd § 5 II StrEG (KG BeckRS 22, 6008).
B. Regelungsinhalt.
I. Haftungsvoraussetzungen.
1. Keine Verantwortlichkeit für einen Schaden gem §§ 827 f.
Rn 3
Verwirklichung eines der oben (Rn 2) genannten Deliktstatbestände; bei fingierter Zurechnungsfähigkeit müssten alle Anspruchsvoraussetzungen (einschl der subjektiven Elemente, sofern deren Fehlen nicht gerade auf der Verschuldensunfähigkeit beruht) erfüllt sein (insb BGHZ 39, 281, 284). Ausnahme: Haftung für Verletzung von Verkehrspflichten, denn bei Verschuldensunfähigkeit ist die Verletzung einer solchen Pflicht nicht denkbar (vgl BeckOK/Spindler § 829 Rz 2 mwN, auch zur aA).
2. Schadensersatz kann nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden.
Rn 4
Die Voraussetzungen des § 832 dürfen nicht erfüllt sein (gleich aus welchem Grund, NK-BGB/Katzenmeier § 829 Rz 7; Erman/Wilhelmi § 829 Rz 2). Ist die Haftung des Aufsichtspflichtigen nach § 832 aus praktischen Gründen nicht realisierbar, haftet er mit dem Handelnden im Außenverhältnis gesamtschuldnerisch nach § 840 I (keine Vorausklage gegen den Aufsichtspflichtigen erforderlich, NK-BGB/Katzenmeier § 829 Rz 7; Grüneberg/Sprau § 829 Rz 3), im Innenverhältnis ist gem § 840 II der Aufsichtspflichtige allein verpflichtet.
3. Billigkeit erfordert Schadloshaltung.
Rn 5
Abwägung aller Umstände des Einzelfalls (BGHZ 127, 186, 192 mwN), insb: persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse der Beteiligten (zB BGH NJW 69, 1762), Umstände der Schadensverursachung (zB BGHZ 23, 90, ...