Rn 4
Die Rechtsgutsverletzung muss durch das Tier verursacht worden sein. Entscheidend ist, dass sich in ihr eine spezifische Tiergefahr verwirklicht hat. Deren Konkretisierung ist str: An die Stelle der früheren Unterscheidung zwischen willkürlichem und natürlichem Tierverhalten (zB RGZ 80, 237, 238 f; BGH NJW 75, 867, 868; wN: BGH NJW-RR 06, 813 Rz 7) ist in der neueren Rspr das Kriterium der Unberechenbarkeit tierischen Verhaltens getreten (zB BGHZ 67, 129, 132; NJW-RR 06, 813 Rz 7; NJW 15, 1824 Rz 12 mwN; NJW-RR 17, 725 Rz 9; NJW 18, 2329 Rz 9; VersR 22, 897 Rz 9, 11), das in der Lit teilw als unbrauchbar abgelehnt wird (zB Soergel/Krause § 833 Rz 6; Erman/Wilhelmi § 833 Rz 4; NK-BGB/Katzenmeier § 833 Rz 5; Larenz/Canaris § 84 II 1c mwN; für negative Typenkorrektur Lehmann/Auer VersR 11, 846 ff). Weil § 833 nur für diejenigen Verhaltensweisen nicht gilt, in denen sich keine spezifische Tiergefahr verwirklicht, werden auch natürliche bzw instinktive Verhaltensweisen von Tieren, die als solche nicht unvorhersehbar sind, von § 833 erfasst, zB das Scheuen eines Pferdes bei Herannahen eines Kraftfahrzeugs (Celle RuS 16, 363, 365) oder durch einen überfliegenden Tornado (Celle r+s 23, 45), natürliche Ausscheidungen (Karlsr VersR 95, 927, 928; Bambg NJW-RR 21, 815, 815 f; LG Dessau-Roßlau NZM 13, 50: Reinigungsflug von Bienen; Staud/Eberl-Borges § 833 Rz 64; BeckOK/Spindler § 833 Rz 8; Erman/Wilhelmi § 833 Rz 4; anders noch RGZ 141, 406, 407), das Schlafen eines Hundes in einem Ladeneingang (Hamm MDR 13, 908 [BGH 08.05.2013 - IV ZR 233/11]) oder der Deckakt (Staud/Eberl-Borges § 833 Rz 65; BeckOK/Spindler aaO; Erman/Wilhelmi aaO; aA Nürnbg VersR 70, 1059, 1060 mwN; s.a. BGHZ 67, 129, 130 ff). Vom Anwendungsbereich des § 833 1 auszunehmen sind daher – neben den Fällen, in denen ein Zusammenhang der Rechtsgutsverletzung mit tierischem Verhalten überhaupt nicht nachweisbar ist (zB AG Aachen NJW-RR 07, 907 [AG Aachen 30.11.2006 - 5 C 511/06]) – mit einer im Vordringen befindlichen Ansicht in der Lit nur diejenigen Fälle, in denen kein selbsttätiges Verhalten des Tieres mehr vorliegt (Staud/Eberl-Borges § 833 Rz 40 ff mwN), zB bei bloß ›mechanischer Wirkung‹ des Tieres (als menschliches Werkzeug oder ausschließlich aufgrund seiner Größe oder seines Gewichts, s BGH VersR 78, 515 f zum Verkehrsunfall eines Tiertransporters). Alle anderen Fälle eigenständigen tierischen Verhaltens werden von § 833 1 erfasst; auf Vorhersehbarkeit oder Anlass (zB Auslösung durch äußere Umstände wie laute Geräusche, Kobl NJW-RR 02, 1542) oder mögliche Fehler einer menschlichen Steuerung des Tieres (teilw str, s.u. Rn 5) kommt es nicht an.
Rn 5
Auch iÜ wird das Kausalitätserfordernis weit ausgelegt. Erfasst werden auch Fälle der Mitursächlichkeit (BGH NJW-RR 06, 813 Rz 7; NJW 15, 1824 Rz 12 f; VersR 22, 897 Rz 9, alle mwN) sowie mittelbar durch die Tiergefahr herbeigeführte Rechtsgutsverletzungen, zB solche aufgrund Ausweichens vor einem Tier (zB Nürnbg NJW-RR 91, 741 f; Ddorf NJW-RR 95, 281; Köln VersR 99, 1293, 1294; Zweibr BeckRS 20, 30069; ähnl Frankf 4 U 249/21), infolge von Schreckreaktionen (BGH NJW 99, 3119; Brandbg DAR 08, 647) oder infolge eines Gerangels zwischen Tieren mit unklarer Verursachung der Verletzung (Köln r+s 19, 288, 289 – sehr weitgehend; ähnl Kobl BeckRS 19, 43483, wo darauf abgestellt wird, dass der Hund des Bekl das Getümmel ausgelöst hatte; Hamm BeckRS 19, 33850; VersR 23, 1054, 1055 f; Celle VersR 23, 986, 986). Die frühere Einschränkung des § 833 1 in Fällen, in denen das Tierverhalten allein auf eine menschliche Leitung des Tieres zurückzuführen war (zB BGH NJW 52, 1329; NJW-RR 90, 789, 791 mwN; kürzlich wieder Frankf r+s 18, 501), wird von der Rspr heute zu Recht nicht mehr verwendet (BGH NJW 92, 2474 [BGH 09.06.1992 - VI ZR 49/91]; 99, 3119 [BGH 06.07.1999 - VI ZR 170/98]; anders wohl BGH NJW-RR 06, 813 [BGH 20.12.2005 - VI ZR 225/04] Rz 7 – dort aber nicht entscheidungserheblich; vgl auch BGH NJW 15, 1824 [BGH 27.01.2015 - VI ZR 467/13] Rz 12, wo das Scheuen eines Pferdes als hinreichend angesehen wurde, sowie Karlsr BeckRS 17, 145401); der Unterschied zu anderen Gefährdungshaftungen, wie insb derjenigen nach § 7 I StVG, wäre kaum zu rechtfertigen und es bliebe unberücksichtigt, dass solches menschliches Verhalten die spezifische Tiergefahr sogar verstärken kann (s.a. Staud/Eberl-Borges § 833 Rz 57; BeckOK/Spindler § 833 Rz 11; Erman/Wilhelmi § 833 Rz 4; NK-BGB/Katzenmeier § 833 Rz 8; aA Grüneberg/Sprau § 833 Rz 7; wN zum Meinungsstand bei Staud/Eberl-Borges § 833 Rz 56f). Auch darauf, ob der Verletzte befugt oder unbefugt mit dem Tier in Berührung kam, kommt es für die Tatbestandsverwirklichung nicht an (BGH NJW 13, 1662 Rz 9); dies kann allenfalls im Rahmen des § 254 eine Rolle spielen (BGH aaO).