Rn 1
Die Norm gilt (wie sämtliche Normen des Besitzes) seit 1900 unverändert. Sie ist die Grundnorm zum Erwerb des unmittelbaren Besitzes. Dabei beinhaltet der Besitz als bewusstes Gegenstück zum Eigentum die tatsächliche Herrschaft einer Person über eine Sache. Die Regelung des Besitzes im BGB macht sich vielfältige Funktionen einer tatsächlichen Herrschaft über die Sache zunutze. Deshalb haben bereits die Motive zum BGB den Besitz als Rechtsposition bezeichnet (Motive III 78). IA unterscheidet man zwischen der Publizitäts-, der Schutz- und der Kontinuitätsfunktion, daneben werden als Funktion häufig auch die Erhaltung des Rechtsfriedens sowie zT eine Erwerbsfunktion genannt. Gemeint ist damit iE, dass der Besitz im Rechtsverkehr als Indiz für bestimmte dingliche Tatbestände dient (Publizitätsfunktion, vgl §§ 929, 1006). Die Schutzfunktion des Besitzes bringt zum Ausdruck, dass sich der Besitzer gegen Störungen und Beeinträchtigungen seines Besitzes zur Wehr setzen kann (§§ 858 ff). Die Kontinuitätsfunktion zeigt sich zB daran, dass das Besitzrecht auch ggü einem Rechtsnachfolger des Eigentümers erhalten bleibt (§ 986 II). Bei der Ersitzung wird die Kontinuitätsfunktion an § 938 sehr deutlich. Die teilweise zusätzlich genannte Erwerbsfunktion des Besitzes zeigt sich in Überschneidung zur Publizität bei den Akten rechtsgeschäftlicher Übertragung und dem Rechtsscheinerwerb. Eine eigenständige Erwerbsfunktion des Besitzes ergibt sich im Falle gesetzlicher Erwerbstatbestände (§§ 900, 937, 958, 965, 973). Schließlich lässt sich die vielfach genannte Funktion des Besitzes zur Erhaltung des Rechtsfriedens va auf die Besitzschutzansprüche der §§ 858 ff stützen. Diese machen ebenso wie zB die Vermutungstatbestände deutlich, dass der Gesetzgeber von der gegebenen Sachlage ausgeht und diese bewahren will, solange nicht aus Rechtsgründen eine Veränderung erforderlich ist. Niemand soll sich sein Recht an Sachen mit Gewalt verschaffen und niemand soll eine Veränderung der tatsächlichen Zuordnung der Sachen zu Personen verlangen können, der nicht beweist, dass die geforderte Veränderung der tatsächlichen Lage dem Recht entspricht (Beweislastcharakter der Vermutungstatbestände).
Rn 2
In systematischer Hinsicht sind die gesamten Regelungen des Besitzes vom Gesetzgeber an den Beginn des Sachenrechts gestellt worden, da sie allg Bedeutung haben. Sie sind sowohl für bewegliche Sachen als auch für Grundstücke anwendbar, wenngleich Fragen des Besitzes im Grundstücksrecht von untergeordneter Bedeutung sind.