I. Begriff und Bedeutung.
Rn 2
Zentraler Ausgangspunkt für den gesamten Besitzschutz ist die verbotene Eigenmacht, die in I als widerrechtliche Beeinträchtigung des Besitzes ohne Willen des Besitzers definiert wird. Dabei bezieht sich die Norm wie der gesamte Besitzschutz nur auf den unmittelbaren Besitzer. Kein Tatbestandsmerkmal des gesamten Besitzschutzes ist das Verschulden. Nicht möglich ist verbotene Eigenmacht ggü dem Besitzdiener oder ggü demjenigen, der ein Recht an der Sache hat (ohne unmittelbarer Besitzer zu sein).
II. Beeinträchtigung.
Rn 3
Die verbotene Eigenmacht wird vom Gesetz als Beeinträchtigung des Besitzes entweder durch Besitzentziehung oder durch Besitzstörung verstanden. Besitzentziehung ist die Beendigung des Besitzes (völliger oder teilw Besitzverlust) mit der Konsequenz des § 861, Besitzstörung ist die sonstige Beeinträchtigung der tatsächlichen Sachherrschaft mit der Konsequenz des § 862 (zur Störung iE s.u. § 1004). In allen Fällen der Beeinträchtigung kommt es weder auf ein Verschulden noch auf den guten Glauben des Handelnden oder auf ein Recht zum Besitz an. Die Beeinträchtigung wird idR physischer Natur sein, sie kann im Einzelnen aber auch ohne körperlichen Eingriff, etwa durch Bestreiten oder Drohungen ausgeübt werden.
Rn 4
IE liegt Entziehung des Besitzes vor bei Wegnahme, Absperrung, Unterbindung des Zugangs, Ergreifen des Mitbesitzes an der ganzen Sache oder Begründung von Teilbesitz. Die Begründung von Teilbesitz durch teilweise Besitzentziehung ist zugleich sonstige Störung an der gesamten Sache (BGH NJW 67, 48 [BGH 19.10.1966 - Ib ZR 156/64]). Entziehung ist schließlich das Parken auf einem fremden Parkplatz (BGH NJW 16, 863 Rz 13; BGH NJW 16, 2407 [BGH 11.03.2016 - V ZR 102/15] Rz 6; BGH NJW 14, 3727 [BGH 04.07.2014 - V ZR 229/13]; LG Frankfurt NJW-RR 03, 311 [LG Frankfurt am Main 12.12.2002 - 2/24 S 145/02]; Abgrenzung zur Störung sehr str, aber im Hinblick auf § 859 bedeutsam; Einzelheiten bei MüKo/Schäfer § 858 Rz 5). Wird auf eine digital vernetzte Sache (zB Auto) aus der Ferne zugegriffen, so stellt dies keinen besitzrechtlichen Tatbestand der Entziehung dar (Casper/Grimpe ZIP 22, 661, 663; Strobel NJW 22, 2361; Kaulbach ZIP 23, 343; aA Ddorf MMR 22, 403 = JZ 22, 359). Besitzstörung deckt sich im Wesentlichen mit dem Störerbegriff des § 1004. Damit kommt auch eine Zustandsstörung (zB durch den Halter eines Fahrzeugs, das der Fahrer auf fremdem Grund abgestellt hat) in Betracht (BGH NJW 16, 863 Rz 21, 22). IE kann die Störung in einer Beschädigung der Sache durch Immissionen, Lärm, Anbringen von Werbung und ähnlichem liegen. Auch ein Unterlassen des Störers kann Störung sein, zB die unterbliebene Versorgung einer Mietwohnung durch den Vermieter mit Energie, Wärme, Wasser während der Mietzeit; nach Beendigung des Mietvertrags ist die Einstellung der Versorgung mit Energie usw keine Störung (BGH NJW 09, 1947 [BGH 06.05.2009 - XII ZR 137/07]). Eine Störung stellt es auch dar, wenn die Nutzung der Sache erlaubt, aber an bestimmte Bedingungen geknüpft ist (Parken auf einem Kundenparkplatz), ohne dass die Bedingung erfüllt würde (BGH NJW 16, 863 [BGH 18.12.2015 - V ZR 160/14] Rz 13).
III. Ohne Willen.
Rn 5
Voraussetzung für eine zur verbotenen Eigenmacht führende Beeinträchtigung ist weiterhin, dass sie ohne Willen des Besitzers erfolgt. Damit wird nicht zwingend eine Beeinträchtigung gegen den Willen des Besitzers verlangt. Der vorhandene oder fehlende Wille ist ein natürlicher Wille, nicht ein Rechtsgeschäft. Die Zustimmung des unmittelbaren Besitzers muss zum Zeitpunkt der Beeinträchtigung tatsächlich vorhanden sein. Sie kann stillschweigend erteilt werden und bleibt auch bei Irrtum, Täuschung oder Drohung wirksam. Lediglich ein physischer Zwang oder ein ihm gleichzustellender psychischer Zwang schließt die gegebene Zustimmung aus. Kommt durch die Nutzung einer Sache im Hinblick auf eine Realofferte ein Vertrag zustande, so stellt eine Vertragsverletzung nicht zugleich eine Störung iSd § 858 dar. Davon gibt es Ausnahmen, wenn etwa die Besitzübertragung durch den Berechtigten erkennbar von der sofortigen Zahlung eines Mietpreises abhängen soll (zB Benutzung eines jedermann zugänglichen Parkplatzes gegen Zahlung einer Gebühr, vgl BGH NJW 16, 863 [BGH 18.12.2015 - V ZR 160/14] Rz 15 ff).
IV. Widerrechtlichkeit.
Rn 6
Eine Beeinträchtigung des Besitzes ohne Willen des unmittelbaren Besitzers ist grds widerrechtlich. Auf die Rechtslage sowie auf den Willen des Besitzdieners oder des mittelbaren Besitzers kommt es nicht an. Die Widerrechtlichkeit kann außer durch die Zustimmung des Besitzers (s.o. Rn 5) nur durch gesetzliche Gestattung entfallen. Solche gesetzlichen Gestattungen können Normen des Öffentlichen Rechts oder des Privatrechts sein, zB § 127 StPO sowie die Eingriffsmöglichkeiten nach Polizei- und Ordnungsrecht; Eingriffe auf Grund von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, Ausübung von Selbsthilferechten (§§ 227–229, 562b, 859) sowie Ansprüche aus dem Bereich des Nachbarrechts (§§ 904–906, 910) oder Verfolgungsrechte (§ 962). Nach Auffassung des BAG soll auch ei...