Gesetzestext
(1) Der Besitzer darf sich verbotener Eigenmacht mit Gewalt erwehren.
(2) Wird eine bewegliche Sache dem Besitzer mittels verbotener Eigenmacht weggenommen, so darf er sie dem auf frischer Tat betroffenen oder verfolgten Täter mit Gewalt wieder abnehmen.
(3) Wird dem Besitzer eines Grundstücks der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen, so darf er sofort nach der Entziehung sich des Besitzes durch Entsetzung des Täters wieder bemächtigen.
(4) Die gleichen Rechte stehen dem Besitzer gegen denjenigen zu, welcher nach § 858 Abs. 2 die Fehlerhaftigkeit des Besitzes gegen sich gelten lassen muss.
A. Normzweck.
Rn 1
Die zentralen Konsequenzen des Besitzschutzes sind zum einen die Ansprüche der §§ 861, 862, zum anderen die Möglichkeit der Selbsthilfe für den Besitzer (§§ 859, 860). Soweit die Selbsthilfe der Abwehr von Eingriffen Dritter gilt, ist die Ausübung von Gewalt in der Gestalt der Besitzwehr nach I möglich. Soweit der Besitz bereits entzogen ist, gibt das Gesetz die Möglichkeit der Besitzkehr, wobei zwischen beweglichen Sachen (II) und Grundstücken (III) unterschieden wird. Die Norm ist ein Spezialfall der allgemeinen Notwehr- und Selbsthilferechte (§§ 227, 229; dazu Stamm FS Vieweg, 21, 603).
B. Besitzwehr (Abs 1).
Rn 2
Jede drohende Besitzentziehung und jede sonstige Beeinträchtigung des Besitzes (Störung) löst den Abwehranspruch des Besitzers nach I aus. Vorausgesetzt ist eine Beeinträchtigung des Besitzes durch verbotene Eigenmacht (§ 858 I) sowie gegenwärtig bestehender Besitz des Abwehrberechtigten. Ist der Besitz bereits entzogen, so gelten ausschl II und III. Eine zeitliche Grenze für die Besitzwehr kennt das Gesetz nicht, Beginn und Ende möglicher Selbsthilfemaßnahmen sind durch die tatsächlich bereits bestehende und noch andauernde Beeinträchtigung bestimmt. Aus § 864 I wird man freilich entnehmen müssen, dass die Selbsthilfe endet, wenn der Besitzer die Beeinträchtigung ein Jahr lang hingenommen hat. Soweit sich eine Abwehrmaßnahme zugleich als Wiederergreifen des entzogenen Teilbesitzes darstellt, gelten die einschränkenden Regeln von II und III (BGH NJW 67, 46, 48; 09, 2530; 12, 528; streitig insb für unberechtigtes Parken auf einem fremden Grundstück, vgl Stöber DAR 06, 486; MüKo/Schäfer § 859 Rz 5). Die Gewaltanwendung darf nicht das erforderliche Maß überschreiten. Keine Voraussetzung für die Besitzwehr ist es, dass andere, insb staatliche Hilfe nicht zu erlangen ist (hM, vgl BGH NJW 67, 46, 47 [BGH 19.10.1966 - Ib ZR 156/64]; aA Schünemann, Selbsthilfe im Rechtssystem, 1985 S 149).
C. Besitzkehr (Abs 2, 3).
I. Bewegliche Sachen (Abs 2).
Rn 3
II liegt vor, wenn der Besitz an einer beweglichen Sache durch verbotene Eigenmacht bereits entzogen ist und sich der (frühere) Besitzer den Besitz gewaltsam wiederbeschaffen will. Die Gewaltanwendung ist nicht subsidiär zur Erlangung anderweitiger Hilfe. Sie ist allerdings nur in einem engen zeitlichen Rahmen zulässig. Der Täter muss entweder auf frischer Tat betroffen oder verfolgt werden. Die zeitliche Grenze zwischen Besitzentziehung und Verfolgung ist nicht exakt zu bestimmen (Schlesw SchlHA 87, 12 hält 30 Min für die Grenze; dies erscheint relativ eng, je nach Art des Vorganges dürfte bis zu einer Stunde in Betracht kommen). Ist die Verfolgung aufgenommen, ist ihre (ununterbrochene) Dauer unbegrenzt.
II. Grundstücke (Abs 3).
Rn 4
Bei Grundstücken oder Räumen darf der Besitzer sich sofort nach der Entziehung des Besitzes durch Entsetzung des Täters wieder der Sache bemächtigen. Dabei ist wiederum nicht von Bedeutung, ob anderweitige Hilfe rechtzeitig zu erlangen ist oder ob sonst die Vereitelung oder Erschwerung des Anspruchs droht (aA Frankf NJW 94, 946 [OLG Frankfurt am Main 01.10.1993 - 10 U 181/92]). Schwierigkeiten bereitet hier der durch das Wort ›sofort‹ begrenzte zeitliche Zusammenhang zwischen Entziehung und Besitzkehr. In der Praxis haben insb die Fälle des unberechtigten Parkens auf fremdem Grundstück Schwierigkeiten bereitet. Entgegen dem Wort ›sofort‹ ist hier ein Abschleppen des störenden PKW am Abend des gleichen Tages, vier Stunden nach dem Abstellen oder sogar noch am folgenden Tag für zulässig angesehen worden (Karlsr OLGZ 78, 206; LG Frankf NJW 84, 183 [LG Frankfurt am Main 22.06.1983 - 2/1 S 59/83]; AG Braunschw NJW-RR 86, 1414; zu engerer Interpretation vgl die Nachw bei MüKo/Schäfer § 859 Rz 14). Der Wortlaut des Gesetzes ist hier sicherlich überdehnt, man wird allerdings unter Berücksichtigung moderner Verhältnisse im Straßenverkehr eine solche ausdehnende Interpretation der Möglichkeiten des § 859 III zulassen müssen.
D. Rechtsfolgen.
Rn 5
Im Falle der Besitzwehr ist jedes Gewaltmittel zulässig, das die verbotene Eigenmacht abwehrt, sofern das Mittel der Abwehr der Beeinträchtigung auch wirklich dient und das erforderliche Maß zur Abwehr nicht überschreitet. Im Falle der Besitzkehr kann sich der bisherige Besitzer ebenfalls jedes geeigneten und erforderlichen Mittels bedienen, um sich der Sache wieder zu bemächtigen. Soweit im Rahmen erforderlicher Maßnahmen zur Selbsthilfe des Besitzers Kosten entstehen, kann der Berechtigte diese nach den Regeln der GoA (BG...