Gesetzestext
Besitzen mehrere eine Sache gemeinschaftlich, so findet in ihrem Verhältnis zueinander ein Besitzschutz insoweit nicht statt, als es sich um die Grenzen des den Einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt.
A. Normzweck.
Rn 1
Die Regeln des Besitzrechts gehen davon aus, dass eine Person eine Sache im Alleinbesitz hat. § 866 weicht davon ab und unterstellt selbstverständlich, dass auch mehrere Personen eine ganze Sache (im Gegensatz zu § 865) gemeinschaftlich besitzen können. Für diesen Mitbesitz gelten grds alle Regelungen der §§ 854 ff. Der Gesetzgeber hat lediglich die erforderlichen Besonderheiten für die Reichweite des Besitzschutzes normiert. Zur Abgrenzung des Mitbesitzes vom Nebenbesitz s.u. § 868 Rn 5.
B. Regelung und Formen.
Rn 2
Als Mitbesitz kann jede Besitzart ausgeübt werden. So können die Mitbesitzer unmittelbare oder mittelbare Besitzer sein, Eigen- oder Fremdbesitzer, möglich ist auch Mitbesitz als Erbenbesitz und als Teilbesitz. Schließlich können auch mehrere Personen gemeinsam Besitzdiener sein, wobei in diesem Falle ihre fehlende Besitzqualität nicht zum Mitbesitz führen kann, sondern zu einer Mitbesitzdienerschaft. Der Mitbesitz kann sich jeweils auf bewegliche und unbewegliche Sachen beziehen. In jedem Falle muss der Mitbesitz zu einer realen Sachherrschaft aller Mitbesitzer führen, einen Mitbesitz nach ideellen Bruchteilen gibt es nicht. Nicht möglich ist ferner wegen fehlender Gleichstufigkeit (vgl § 871) Mitbesitz zwischen einem mittelbaren und einem unmittelbaren Besitzer.
Rn 3
Innerhalb der Rechtsfigur des Mitbesitzes kann man unterscheiden zwischen dem schlichten Mitbesitz und qualifizierten Mitbesitz. Soweit eine Sache jedem Mitbesitzer ohne Mitwirkung anderer zugänglich ist, übt er schlichten (einfachen) Mitbesitz aus. Qualifiziert ist dagegen der Mitbesitz, wenn die Sache den Mitbesitzern nur gemeinschaftlich zugänglich ist. Es kann sich zB ein Schließfach nur durch mehrere, verschiedenen Personen zustehende Schlüssel gemeinschaftlich öffnen lassen. Einen gesamthänderischen Mitbesitz gibt es bei unmittelbaren Besitzern nicht. Denkbar ist gesamthänderischer Besitz nur als mittelbarer Besitz, wobei die jeweilige Gesamthandsgemeinschaft nicht rechtsfähig sein darf (zB Erbengemeinschaft). Anderenfalls liegt Organbesitz vor (s.o. § 854 Rn 15).
Rn 4
In allen Fällen des (unmittelbaren) Mitbesitzes hat jeder Mitbesitzer die tatsächliche Sachherrschaft und zugleich einen eigenen Besitzwillen. Dieser Besitzwille muss kein gemeinschaftlicher sein. Die Mitbesitzer müssen also nicht zwangsläufig in einer Rechtsgemeinschaft bzgl der Sache stehen. Auch jede andere Form gemeinschaftlicher Ergreifung der tatsächlichen Gewalt führt zu Mitbesitz.
C. Rechtswirkungen.
Rn 5
Auf den Mitbesitz sind alle besitzrechtlichen Vorschriften anzuwenden. Der Mitbesitzer hat also gegen dritte Personen alle Besitzansprüche wie ein Alleinbesitzer. Umgekehrt richten sich Ansprüche Dritter gegen einen Mitbesitzer ebenfalls in gleicher Weise wie gegen den Alleinbesitzer.
Rn 6
Besonderheiten ergeben sich beim Besitzschutz. Im Verhältnis der Mitbesitzer untereinander können die Regelungen über den Besitzschutz nicht uneingeschränkt angewendet werden. Nach dem Wortlaut des Gesetzes gelten die Besitzschutzregeln jedenfalls insoweit nicht, als es sich um die Grenzen des Gebrauchs handelt. Damit sind die Grenzen des Gebrauchsumfangs im Hinblick auf zeitliche, örtliche, inhaltliche und umfangmäßige Regelungen gemeint. Soweit es nicht um diese Grenzen, sondern etwa um eine völlige Besitzentziehung geht, kann ein Mitbesitzer ggü seinem anderen Mitbesitzer auch den Anspruch aus § 861 geltend machen (BGH DB 73, 913; Ddorf MDR 85, 497; 98, 893). Im Falle von Besitzstörungen unter Mitbesitzern gibt es in keinem Fall Besitzschutzansprüche (BGHZ 29, 372, 377; 62, 243, 249; 145, 16, 19). Unberührt bleiben zwischen Mitbesitzern alle übrigen Ansprüche außerhalb des Besitzrechts (zB deliktsrechtliche Ansprüche).